Herzensbildung
Lämmchen hat auch schon bessere Tage gesehen. Bestimmt hatte es mal Haare, einen flauschigen Pelz. Aber davon ist fast nichts mehr übrig. Weggekost. Fortgeherzt. Der ganze Körper von Lämmchen baumelt wie ein schlaffer Sack herab, aus dem dann und wann letzte Spurenelemente seiner einstigen Füllung rieseln. Nur der Kopf ist mehrfach nachbefüllt worden. Ein dünner Faden über dem linken Knopfauge verrät den mütterlichen Eingriff.
Heute hat Lämmchen seine gewohnte Umgebung verlassen. Es liegt nicht im Bett herum und wartet auf den Abend oder lugt aus der Kiste mit den großen Legosteinen, heute ist Lämmchen in der Schule. Zum ersten Mal. Seine Freundin und Knuddlerin und Schnüffeltante Hanna hätte ohne Lämmchen das Haus nicht verlassen. Sie ist zwar eigentlich schon zu groß dafür (sagt der Papa), aber wenn’s eng wird…
Also sitzt Lämmchen oder das, was von ihm übrig ist nach ein paar Jahren innigster Beziehungspflege, in der zweiten Bank an die große Federschachtel gelehnt und stellt fest, dass es nicht allein ist. Links vorne hat sich ein Plüschbär mächtig aufgeplustert und in der vierten Reihe starrt ein Pinguin verständnislos die Wandtafel mit dem Alphabet an. Darum wird es ab jetzt gehen. Um Zahlen und Buchstaben. Und immer weniger um die Lämmchen dieser Welt. Die haben ihren Teil am Bildungsplan ja erfüllt. Man nennt ihn Herzensbildung.
Kommentar