
Das weiße Grauen: So veränderte sich Blons durch die größte Lawinenkatastrophe der Alpen
Zwischen 10. und 12. Jänner 1954 ereignete sich in Vorarlberg die größte Lawinenkatastrophe in der Geschichte der Alpen. 125 Todesopfer waren insgesamt zu beklagen. Besonders hart traf es Blons. Wie das Ereignis die Gemeinde verändert hat.
Blons Vor 70 Jahren erlebte Vorarlberg die größte Lawinenkatastrophe in der Geschichte der Alpen. Hunderte Lawinen donnerten nach einem überdurchschnittlich warmen Dezember und darauffolgenden heftigen Schneefällen zwischen 10. und 12. Jänner 1954 die Vorarlberger Berghänge hinab. 125 Menschen starben unter den Schneemassen, die meisten davon im Großen Walsertal. In Vorarlberg wurden etwa 280 Menschen von Lawinen verschüttet, 125 verloren ihr Leben.
Die Talschaften Großwalsertal und Montafon waren am schlimmsten betroffen. Die Muttentobel-Lawine riss in Dalaas sogar eine Schnellzuggarnitur in die Tiefe, und im Bregenzerwald forderten Lawinen 15 Todesopfer. Besonders hart traf es Blons, das von insgesamt 13 Lawinen verschüttet wurde. Jeder dritte Blonser wurde verschüttet, 30 Häuser vollständig zerstört.

Oscar Spang, Sammlung Walter Gnaiger, Vorarlberger Landesbibliothek
Die Katastrophe stellte eine Zäsur für die Gemeinde dar. 57 der 365 Bewohner von Blons überlebten das Unglück nicht, was rund 15 Prozent der Bevölkerung entsprach. Einige der Verschütteten mussten länger als zwei Tage, manche schwer verletzt und eingeschlossen, neben ihren toten Familienmitgliedern ausharren, bevor Rettung zu ihnen vordringen konnte. Andere starben kurz vor ihrer Bergung. Noch Monate nach dem Unglück wurden Leichen Vermisster entdeckt. Mehrere Familien wanderten ab, weil ihr Hab und Gut vernichtet worden war oder sie Angehörige verloren hatten. “Man muss bedenken, dass hier fast eine ganze Generation ausgelöscht worden ist”, sagt Erich Kaufmann (50), seit drei Jahren Bürgermeister der Gemeinde.

Aufarbeitung
Den Menschen blieb in jenen Wochen und Monaten kaum Zeit zur Verarbeitung Geschehnisse. “Früher hat man nicht darüber gesprochen, es gab damals noch keine psychologische Hilfe, wie wir sie heute kennen”, gibt der Bürgermeister zu bedenken. Erst 2004, anlässlich des fünfzigjährigen Gedenkens, begann die Aufarbeitung. Damals wurde auch das Lawinendokumentationszentrum eröffnet, das anhand von Zeitzeugeninterviews, Film- und Bildmaterial an die schwere Zeit erinnert.


Auf drei Themenwegen in der Gemeinde kann man mehr über die Katastrophe, Lawinenschutz und -verbauung erfahren. Der „Leusorg-Weg“ führt an den wiederaufgebauten Höfen vorbei zum Lawinendenkmal beim Friedhof, die weiteren Erinnerungspfade führen zum Schutzwald und zu den Verbauungen. Es gehe darum, mahnend an die Ereignisse zu erinnern. “Es gilt aufzuzeigen, was passiert, wenn man die Natur unterschätzt”, so Kaufmann. Das Ereignis wurde auch von Kulturschaffenden aufgegriffen: 2010 erschien Reinhold Bilgeris “Der Atem des Himmels”, vergangenes Jahr “Der Engel von Blons”, ein Animationsfilm von Wolfgang Tschallener.

Wichtiger Schutzwald
Das Unglück war auch Anlass dazu, dass in Österreich damit begonnen wurde, umfassende Lawinenverbauungen zu errichten. Die Blonser leben seit Jahrhunderten mit der Bedrohung von den Schneehängen des Falvkopfs. Eine besondere Bedeutung in der Lawinenprävention in Blons kommt dabei neben den technischen Verbauungen dem 270 Hektar großen gemeindeeigenen Schutzwald zu, betont Kaufmann: “Die Lawinenverbauungen wurden nach der Katastrophe sukzessive aufgebaut, beginnend beim Falvkopf,” erklärt Kaufmann. “Neben diesen technischen Maßnahmen wurde auch viel in die Aufforstung investiert, um unseren Schutzwald zu stärken.” Auch sämtliches Holz für das 2004 eröffnete Gemeindezentrum stammt aus dem gemeindeeigenen Schutzwald und stellt ein Zeichen für den Wiederaufbau nach 1954 dar.


Bedeutsam sei es dabei hinsichtlich der Herausforderungen durch den Klimawandel den Wald zu diversifizieren. Die klimabedingte Erwärmung lässt ihn vermehrt austrocknen und macht ihn anfälliger: “Es ist entscheidend, verschiedene Baumarten wie Tanne, Fichte und Bergahorn zu integrieren. Falls eine Baumart ausfällt, etwa durch Schädlingsbefall, wäre die Schutzwirkung des Waldes massiv beeinträchtigt”, erklärt er. Oberstes Gebot für Blons sei daher in Zusammenarbeit mit der Wildbach- und Lawinenverbauung die Pflege des Schutzwaldes und die Regulierung des Wildbestands, damit eine nachhaltig funktionierende Naturverjüngung mit allen standortgerechten Baumarten erreicht werden kann.

Internationale Hilfe
Die Katastrophe löste eine internationale Welle der Hilfsbereitschaft aus, eine Sonderaktion von Land und Bund sorgte für den Wiederaufbau. Gesamt waren etwa 1500 Ersthelfer vor Ort. Neben den einheimischen Rettungsmannschaften waren unter anderem auch die Amerikaner an den Hilfseinsätzen beteiligt. Die damals noch als Besatzungsmacht in Österreich stationierten Truppen flogen von Salzburg aus Hilfs- und Versorgungsflüge mit Helikoptern – das erste Mal bei einer Alpinkatastrophe. “Die Blonser, die damals Hilfe erfuhren, haben einfach eine andere Einstellung zum Helfen”, ist Kaufmann überzeugt. Diese Erfahrung spiegle sich in der überdurchschnittlich hohen Spendenbereitschaft wider.
Heute – 70 Jahre nach dem weißen Grauen – zählt Blons wieder 360 Einwohner.




Lawinenkatastrophe 1954
Außer den 57 tödlich Verunglückten von Blons starben allein in den Großwalsertaler Bergdörfern Sonntag und Fontanella je zehn Personen und in St. Gerold drei weitere Menschen. Neben dieser Talschaft war das Montafon am schlimmsten betroffen. Bei zwei Lawinenabgängen in Bartholomäberg wurden 35 Personen verschüttet, von denen 18 ums Leben kamen.
Den letzten tragischen Höhepunkt erlebte die Unglücksserie am
Dienstag, dem 12. Jänner 1954. Kurz nach Mitternacht riss die
Muttentobel-Lawine in Dalaas im Klostertal eine seit dem Morgen in
den Schneemassen stecken gebliebene Schnellzuggarnitur der
Arlbergbahn in die Tiefe. Während die 74 Passagiere in den Waggons im
Großen und Ganzen mit dem Schrecken davonkamen, fanden im Warteraum
des Dalaaser Bahnhofs zehn Menschen den Tod. Vom Bahnhofsgebäude
hatte die gewaltige Staublawine nur noch den westlichen Teil stehen
gelassen. Weiters forderten Lawinen an diesen Tagen auch im
Bregenzerwald insgesamt 15 Todesopfer. Hier waren vor allem die
Gemeinden Mellau und Hittisau betroffen.
Die Lawinenabgänge in Vorarlberg verschütteten an diesen drei
Tagen insgesamt rund 280 Menschen, wird später rekonstruiert. Für 125
von ihnen kommt jede Hilfe zu spät. Über 500 Stück Vieh verenden in
den Schneemassen, 500 Wohn- und Wirtschaftsobjekte wurden dem
Erdboden gleichgemacht.
Themenwege und Lawinendokumentationszentrum
Ausgangspunkt für alle drei Wege: Blons (Lawinendokumentationszentrum im Gemeindehaus)
Leusorg-Weg: 6 km, ca. 2 – 3 Stunden, 260 Höhenmeter -> zur Tourenbeschreibung
Schutzwald-Weg: 4 km, ca. 2 1/2 Stunden, 250 Höhenmeter
Verbauungs-Weg: 3,5 – 4 km (je nach Route), ca. 2 1/2 Stunden, 250 Höhenmeter, Knöchelhohe Wanderschuhe mit Profilsohle sind notwendig!
Das Lawinendokumentationszentrum befindet sich im Gemeindezentrum Blons. Führungen können Sie unter lawinenpfad@blons.net buchen. Das Lawinendokumentationszentrum ist durchgehend geöffnet.