Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Zuversicht und positive Einstellung

Vorarlberg / 11.01.2024 • 06:30 Uhr

Bundespräsident Alexander van der Bellen plädierte in seiner Neujahrsansprache für mehr Zuversicht und meinte, unser Land habe alle Fähigkeiten und Eigenschaften, die es brauche, um eine gute Zukunft zu bauen. Diesem Wunsch nach „festem Vertrauen auf eine positive Entwicklung, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche und Hoffnungen“ – so lautet die Definition der Zuversicht – ist nur zuzustimmen.

Denn Zuversicht gehört zu jenen menschlichen Fähigkeiten, welche beste Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit, auf Motivation und Beziehungsfähigkeit, auf Achtsamkeit und Sinnerleben haben. Sogar mit Gen-Untersuchungen und Hirnscannern konnte nachgewiesen werden, dass optimistisch denkende Menschen gesünder sind und länger leben als Pessimisten.

Zuversicht ist einer der Grundpfeiler der positiven Psychologie, also jener Wissenschaft, welche die optimalen Entwicklungsmöglichkeiten von Individuen, Organisationen und Gesellschaften erforscht. Sie beschäftigt sich nicht mit Störungen und Krankheiten, sondern mit Ressourcen und Stärken, mit Bewältigungsstrategien und Resilienzfaktoren sowie jener Art des Wohlbefindens, die mehr ist, als nicht krank zu sein. Wenn der Bundespräsident allerdings die österreichische Gesellschaft wohlmeinend als „leistungsfähig, einfallsreich, mitfühlend, friedliebend und wohlwollend“ beschreibt, ergeben sich an dieser Pauschalität gewisse Zweifel.

„Sogar mit Gen-Untersuchungen und Hirnscannern konnte nachgewiesen werden, dass optimistisch denkende Menschen gesünder sind und länger leben als Pessimisten.“

Denn wenn man hierzulande chronische Unzufriedenheit und oft unersättliche Anspruchshaltung, ständige Grantelei und permanentes Raunzertum sowie das strikte Ausblenden von gesellschaftlichem Wohlstand und sozialer Sicherheit erlebt, kann man schwerlich eine positive Grundstimmung erkennen. Mit der oft vorherrschenden Art des destruktiven Kritisierens, der sich etablierenden Unkultur der Beschämung oder dem in politischen Diskussionen immer dominanter werdenden Hass lassen sich Selbstbild und Lebensqualität nicht verbessern.

Dieser Defizit-orientierten und damit demotivierenden österreichischen Grundhaltung könnte man mit dem begegnen, was der Wissenschaft mit der Etablierung einer positiven Psychologie zumindest teilweise gelungen ist: Während sich dort Forschung und Therapie zuvor ausschließlich auf Störungen und Schwächen konzentriert haben, stehen nunmehr positive psychische Kräfte wie Wertschätzung, Resilienz und Zuversicht im Mittelpunkt. Denn nur damit können wir, jeder einzelne und die gesamte Gesellschaft, zu einem gelingenden Leben gelangen.

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut

und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.