Wie unser mentales Wohlbefinden in Krisenzeiten gestärkt werden kann

Auch wenn psychologische Grundbedürfnisse im Vergleich zu physiologischen nicht direkt lebensnotwendig erscheinen, sind sie dennoch zentraler Bestandteil für das mentale Wohlbefinden, erklärt Psychotherapeut Bertram Strolz in der neuen Folge Glücksimpulse.
Bregenz Grundbedürfnisse assoziieren die meisten Menschen mit körperlichen Grundbedürfnissen, die zum Überleben wichtig sind. Dazu zählen neben Essen und Trinken unter anderem auch genügend Schlaf, saubere Luft und ein Dach über dem Kopf. Überdies beeinflussen die psychologischen Grundbedürfnisse – jene Aspekte unseres Daseins, die über das Physische hinausgehen – unser allgemeines Wohlbefinden und damit die Zufriedenheit. “Die Forschung hat gezeigt, dass drei psychologische Grundbedürfnisse essenziell sind, nämlich Autonomie, Kompetenz und Bindung. Sie sind Voraussetzung für Wohlbefinden, Motivation und persönliches Wachstum”, erklärt Psychotherapeut Bertram Strolz in der achten Folge Glücksimpulse im Gespräch mit VN-Moderatorin Mirijam Haller. Diese universellen psychologischen Bedürfnisse wurden von den Forschern Edward Deci und Richard Ryan im Zuge der Selbstbestimmungstheorie identifiziert und sind weltweit als Grundlage für psychische Gesundheit anerkannt.
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Die Autonomie, die Strolz beschreibt, ist nicht nur die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen und Selbstbestimmung, sondern auch das Bedürfnis, aus eigenem Antrieb für andere zu handeln: „Autonomie bedeutet nicht nur, auf sich selbst bezogen zu sein. Es bedeutet auch, für andere etwas zu tun und manchmal auch zu verzichten“, so Strolz. Als Beispiel für diese Form der Autonomie nennt der Psychotherapeut die Pflege eines anderen Menschen. In solch einem Fall entscheidet sich eine Person freiwillig dafür, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, um den Bedürfnissen eines anderen zu entsprechen. Diese Entscheidung basiert auf einer tiefen persönlichen Überzeugung und dem Verständnis der eigenen Rolle in der Beziehung zu anderen. “Wenn ich mich freiwillig dafür entscheide, etwas für einen anderen Menschen zu tun, führt das zu einem autonomen Gefühl”, führt Strolz weiter aus. So trage Autonomie nicht nur zur persönlichen Freiheit, sondern auch zur Förderung des sozialen Zusammenhalts bei.

Kompetenz: Sich als wirksam erleben
Das Bedürfnis nach Kompetenz ist eng mit dem Gefühl verbunden, wirksam zu sein und von anderen wahrgenommen zu werden. „Wenn meine Handlungen eine Wirkung haben, dann habe ich das Gefühl, kompetent zu sein. Ich werde gesehen, ich werde verstanden“, erläuterte Strolz. Dieses Gefühl, dass die eigenen Aktionen Ergebnisse hervorrufen, stärkt den Selbstwert und fördert eine positive Spirale der Selbstwirksamkeit.

Bindung: Das Fundament der Existenz
Bertram Strolz hebt in dem Zusammenhang hervor, wie entscheidend positive Bindungserfahrungen in der Kindheit für die Entwicklung eines sicheren Selbstwertgefühls und die allgemeine Lebensführung sind. “Diese frühen Bindungserfahrungen prägen unsere Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen und zu erhalten, was wiederum unser Selbstbild und unsere Resilienz im Erwachsenenalter beeinflusst”, so Strolz. Dieses dritte Grundbedürfnis nach Bindung sei daher das fundamentalste Grundbedürfnis: „Wir sind nur wir selbst, weil es andere gibt. Diese Beziehungen geben uns Identität und ein Gefühl der Zugehörigkeit.”

Globale Krisen und Resilienz
In Bezug auf aktuelle globale Krisen wie Kriege und Klimawandel sprechen Strolz und Haller in Glücksimpulse auch über die Rolle der Resilienz, die eng mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse verbunden ist. “Die Wucht an Krisen kann ein Gefühl der Ohnmacht erzeugen. Wenn dieses anhält und wir den Eindruck haben, dass wir nichts zur Verbesserung beitragen können, kann dies in eine sogenannte erlernte Hilflosigkeit münden.” Dieses Phänomen tritt auf, wenn Personen über längere Zeit glauben, dass ihre Handlungen keine Auswirkungen haben, was zu einem tiefen Gefühl der Hilflosigkeit führen kann. Solch ein Zustand kann die Tür zu depressiven Stimmungen öffnen, warnt der Psychotherapeut.

In solchen Momenten sei es entscheidend, nicht zu resignieren, sondern aktiv Optimismus zu praktizieren und proaktiv zu bleiben. Es gehe darum, sowohl Unterstützung anzubieten als auch anzunehmen, denn dies stärke das Gefühl der Selbstwirksamkeit und der Resilienz.
Um die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse zu stärken, empfiehlt der Experte für Positive Psychologie regelmäßige Selbstreflexionen und ein aktives Pflegen von Beziehungen, um ein gelingendes und zufriedenes Leben zu führen.
Praktische Übung Zur Stärkung der psychologischen Grundbedürfnisse
Zeichnen Sie drei Gläser auf ein Blatt Papier und beschriften Sie diese mit „Autonomie“, „Kompetenz“ und „Bindung“.
- Autonomie: Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln und Entscheiden im Einklang mit den eigenen Werten.
- Kompetenz: Sich selbstwirksam erleben, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
- Bindung: Sich zugehörig und verbunden fühlen, Vertrauen und Empathie erleben.
Entscheiden Sie, ob diese Übung sich auf einen bestimmten Lebensbereich, Ihr gesamtes Leben oder ein spezifisches Thema beziehen soll.
- Bewerten Sie die aktuelle Erfüllung:
- Zeichnen Sie die aktuellen Füllstände jedes Glases entsprechend der Erfüllung dieser Bedürfnisse ein. Ein vollständig gefülltes Glas bedeutet 100% Erfüllung, ein leeres Glas keine Erfüllung.
- Definieren Sie den gewünschten Zustand:
- Markieren Sie, wie voll jedes Glas idealerweise sein sollte. Beachten Sie, dass nicht immer 100 Prozent das Ziel sein müssen.
- Reflektieren Sie Ihre Ergebnisse:
- Betrachten Sie die Füllstände und überlegen Sie: Wie fühlen Sie sich dabei? Welche Erkenntnisse gewinnen Sie über Ihren Fokus?
- Identifizieren Sie, welche Bedürfnisse die größte Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand aufweisen. Überlegen Sie, was zur Erhöhung oder Verringerung dieser Füllstände beiträgt und wie Sie diese Bedürfnisse besser erfüllen können.
Die neunte Folge Glücksimpulse, die VN-Serie für mehr Zufriedenheit und mentale Stärke, zum Thema Resilienz erscheint am 27. April in den VN und vorab auf V+. Alle Folgen von Glücksimpulse sind auch auf Spotify als Podcast verfügbar.
