Wie Sabrina als Mutter mit Behinderung gesellschaftliche Barrieren bricht

Vorarlberg / 12.05.2024 • 10:40 Uhr
Portrait Sabrina Nitz
Sabrina Nitz, Partner Daniel Studer, Sohn Jamie und Hund Findus sind ein eingespieltes Team. VN/Serra

Frauen mit Behinderung stoßen manchmal auf Vorurteile, wenn sie einen Kinderwunsch haben. Zum Beispiel, dass sie keine Verantwortung für andere übernehmen sollten, wenn sie selbst auf Unterstützung angewiesen sind. Sabrina Nitz aus Sulz führt ein selbstbestimmtes Leben und ist Mutter – trotz angeborener körperlicher Beeinträchtigung.

Darum geht’s:

  • Sabrina Nitz überwindet mit AMC gesellschaftliche Vorurteile.
  • Einsatz für Persönliche Assistenz und Abbau von Barrieren.
  • Sie meistert die Mutterrolle trotz Behinderung.

Sulz Sabrina Nitz’ Geschichte ist Beweis dafür, dass eine Behinderung nicht zwingend Grenzen setzen muss, wenn es um die großen Themen des Lebens geht: Liebe, Mutterschaft und das Überwinden gesellschaftlicher Hürden. Trotz der angeborenen Gelenkversteifung an Armen und Beinen führt sie ein selbstbestimmtes Leben. Die 42-Jährige wurde mit Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) geboren.

Portrait Sabrina Nitz
Sabrina geht sehr offen mit ihrem Handicap um. Sie ist Vorreiterin in Sachen persönlicher Assistenz in Vorarlberg und ist Koordinatorin und Obfrau des Vereins Persönliche Assistenz. VN/Serra

Durch das Handicap weiß die Sulnerin, wie hartnäckig Vorurteile sein können. Ihre körperliche Beeinträchtigung löst oft fälschlicherweise die Annahme aus, sie sei auch kognitiv eingeschränkt. Sabrina Nitz hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, solche Missverständnisse aktiv zu klären: “Man trifft immer wieder auf gewisse Vorurteile. Aber dann ist es spannend, diese durch direkte Begegnungen und Gespräche auszuräumen”, erklärt Nitz. Seit knapp 20 Jahren setzt sie auf die Unterstützung einer persönlichen Assistenz. Die eigene Betroffenheit führte auch dazu, dass sich Nitz für andere engagierte, zuerst im Rahmen des Vereins „Reiz“, der ein Konzept für die Persönliche Assistenz erarbeitete, dann als Koordinatorin und Obfrau der Servicestelle “Persönliche Assistenz”.

Portrait Sabrina Nitz
Bei gewissen Tätigkeiten ist die 42-Jährige auf persönliche Assistenz angewiesen, da sie ihre Arme und Beine nur eingeschränkt bewegen kann. VN/Serra
Portrait Sabrina Nitz
Sabrina Nitz, ihr Partner Daniel und Sohn Jamie gehen mit Findus spazieren. VN/Serra

Vorurteile überwinden

Ihre Hingabe zu zwischenmenschlichen Beziehungen und der Abbau von Barrieren spiegelt sich auch in ihrem Privatleben wider. Denn die Liebe zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen stößt manchmal auf Unverständnis und muss ebenso Vorurteile überwinden. “Viele Menschen hätten gedacht, dass ich nie eine Beziehung haben kann”, erinnert sich Sabrina Nitz, die vor 17 Jahren ihren Lebenspartner Daniel Studer kennenlernte. “Ihr bezauberndes Lächeln, ihre Ausstrahlung und ihr offener Umgang mit ihrer Behinderung haben mich sofort fasziniert”, erinnert sich Daniel an das erste Date.

Sabrina Nitz
Sohn Jamie und Mama Sabrina verbindet eine enge Beziehung.
Sabrina Nitz
“Ich denke eine gute Mutter zeichnet aus, dass man für sein Kind da ist. Dass man es liebt. Dass man es annimmt, so wie es ist”, ist die 42-Jährige überzeugt.

Die anfängliche Unsicherheit seiner Freunde und Familie, die nicht einschätzen konnten, wie er mit Sabrinas Behinderung zurechtkommen würde, verschwand mit der Zeit: „Am Anfang war es schwierig, weil viele nicht verstehen konnten, warum ich mich für eine Partnerin mit einer sichtbaren Behinderung entschieden habe.” Doch mit der Zeit wuchs das Verständnis und die Akzeptanz. “Ich bin in dieser Beziehung gewachsen und habe gelernt, was es wirklich bedeutet, Verantwortung zu tragen und jemandem bedingungslos zur Seite zu stehen”, reflektiert Daniel. Für Sabrina ist es wichtig, dass Daniel sie zwar unterstützt, jedoch nicht zu ihrem persönlichen Assistenten wird. Dies ermöglicht eine Partnerschaft auf Augenhöhe.

Portrait Sabrina Nitz
Zur Familie gehört seit eineinhalb Jahren auch Assistenzhund Findus. Er hilft Sabrina, Türen zu öffnen, Lichtschalter zu betätigen und begleitet sie zur Arbeit nach Dornbirn. VN/Serra

Mutterschaft trotz Handicap

Sabrinas und Daniels ganzer Stolz ist ihr elfjähriger Sohn Jamie. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Sohn die gleiche Behinderung erben würde, lag bei 5 Prozent. „Für mich und meinen Lebenspartner war es schon immer ein großer Wunsch, irgendwann ein Kind zu bekommen”, erklärt Sabrina. „Eine gute Mutter zu sein bedeutet für mich, für mein Kind da zu sein, es zu lieben und anzunehmen, wie es ist.” Wichtig war ihr immer, nicht jede Aufgabe an die persönliche Assistenz zu delegieren. Wenn das Baby zum Beispiel eine frische Windel benötigte, begleitete sie ihren Sohn ins Bad. Während die Assistentin die körperlichen Aufgaben übernahm, sprach Sabrina mit dem Kind.

“Die größte Lektion, die ich gelernt habe, ist, dass man seinen Zielen und Träumen folgen sollte, selbst wenn es aussichtslos erscheint und andere daran zweifeln”, erklärt Sabrina Nitz. Unterstützende Personen auf dem Weg seien dabei entscheidend, denn durch sie kann Großes entstehen. “Man sollte nicht aufgeben, für sein eigenes Leben einzustehen und sich dafür stark zu machen.”

Portrait Sabrina Nitz
Mit Marianne Hengl, Moderatorin und Obfrau des Vereins RollOn, verbindet Sabrina Nitz eine jahrelange Freundschaft. Sie tritt in der 34. Folge “LICHTBLICKEblicke und Wegweiser” auf – die Sendung erscheint am 23. Mai 2024.
Portrait Sabrina Nitz
Bei den Aufnahmen der Sendung “LICHTblicke & Wegweiser”.

Sabrina Nitz tritt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Daniel in der 34. Folge LICHTblicke & Wegweiser mit Moderatorin Marianne Hengl auf. Die Folge erscheint am 23. Mai 2024 auf: www.rollon.at/was-wir-tun/lichtblicke-wegweiser

Stichwort AMC
Unter Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) wird eine angeborene Gelenksteife (Dysmorphie) verstanden. Sie kann einzelne Gelenke betreffen und als ausgedehnte Form mehrere Gelenke bis hin zu Organ- und Gehirnbeteiligung führen. Typische Merkmale sind Versteifungen, von denen alle Gelenke betroffen sein können und die in allen Bewegungsrichtungen auftreten. Die Muskeln der betroffenen Gelenke sind unterentwickelt und somit kraftlos.