Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Ich will endlich ans Meer!

Vorarlberg / 09.07.2024 • 09:05 Uhr

Ferien. In meiner Brust schlagen zwei Seelen. Die eine sagt: Daheim ist es doch am schönsten. Die andere ruft: Ich will ans Meer!

Dieses Problem ließe sich natürlich am effizientesten mit einem Haus am Meer lösen, leider sprechen ein paar Faktoren dagegen, das fehlende Budget ist einer davon, die Distanz zu den Leuten, die mir im Leben wichtig sind, ein anderer.

„Nur das Meer! Italien! Da kam ich erst hin, als ich schon erwachsen war.“

Ich schweife ab! Ich wollte über etwas ganz anderes schreiben! Nämlich davon, wie die Reiselust immer eingebremst wird von der Reiseangst.

Das hat vielleicht damit zu tun, dass in meiner Kindheit eine Urlaubsreise etwas war, bei dem sich die ganze Familie auf die Räder setzte und am Schwarzen See vorbei elf Kilometer in das Bergdorf keuchte, aus dem meine Großmutter stammte. Außer dem Vater, der fuhr mit dem Puch-Moped voraus, mit einem Anhänger, auf dem er die Sachen transportierte, die wir in den kommenden Sommerwochen brauchen würden. (Hab ich das schon mal erzählt? Wahrscheinlich hab ich das schon mal erzählt). Jedenfalls: Das war schön! Also, wenn wir es endlich nach oben geschafft hatten und uns im eiskalten Quellwasser im steinernen Brunnen vor dem alten Bauernhaus meiner Urgroßeltern selig erfrischen konnten.

Fern- und Auslandsreisen waren bei uns damals budgetär einfach nicht drin, was, wenn man das Glück hat, in einer weltweit beliebten Feriendestination wie dem Ländle aufzuwachsen, einigermaßen auszuhalten war. Nur das Meer! Italien! Da kam ich erst hin, als ich schon erwachsen war.

Und wenn man einmal am Meer war, will man wieder hin. Ich jedenfalls.
Allerdings kollidiert das leider mit Seelenlage Nr. 1: Ich will nicht weg, ist doch so schön daheim. Dass es dann doch manchmal geschieht, liegt vor allem daran, dass ich an kalten, grauen Wintertagen mitunter eine derartige Sehnsucht nach dem Meer bekomme, dass ich ohne groß nachzudenken für Wochen oder Monate später eine Reise ans Meer buche, mit Freundinnen oder den großen Kindern, damit ich eine Vorfreude habe, mit deren Hilfe ich den Winter überstehe.

Und wie immer: je näher die Reise rückt, desto nervöser macht mich auch der Gedanke an die Abreise, die Fahrt an einen unbekannten Ort unter lauter Fremde.
Auf Instagram folge ich ein paar Weltenbummlerinnen, der furchtlosen Weitwandererin und Autorin Christine Thürmer und einer jungen Frau, die so viel und gern alleine reist, dass sie für einen Blog namens „Reisevergnügen“ schreibt. Unlängst gab sie zu, dass auch für sie der erste Reisetag „immer scheiße“ sei und stets eine Herausforderung.

Schau an, es geht auch Reise-Profis so! Das ist offenbar normal. Und es beruhigt mich dermaßen, dass die Vorfreude wieder überhand nimmt. Wir fahren ans Meer!, schon bald.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.