Die wahren Qualitäten
„Nach einer Minute könnten sie mich als ohnmächtigen Sack vom Rasen kratzen“, bekennt der Mitfünfziger, und die ächzenden Bewegungen seines fülligen Körpers geben ihm recht. „Dabei kann eine Minute schon lang sein“, ergänzt ein anderer, und alle bringen sie nickend zum Ausdruck, dass in der Fußballübertragung lauter Athleten 90 Minuten und länger in Sprint und Dauerlauf verbringen. Sind hellwach, wälzen im Kopf die nächsten Spielzüge, während die Füße dribbeln. Sind dabei ohne Unterlass den gewaltigen Stimmungen ausgeliefert, die durchs Stadion wabern. Wahnsinn!
All hält sich die Runde vor Augen, deren Nationalmannschaften längst ausgeschieden ist. Wenn Gegenstände aufs Spielfeld geschleudert werden, schütteln sie wortlos die Köpfe. Die nächsten Getränke ordern die Vier so zuvorkommend, dass in den errötenden Wangen der Kellnerin die Hoffnung auf ein ansehnliches Trinkgeld erblüht.
Diese Vier haben natürlich auch ihre Favoriten, aber wenn dem Gegner ein Konter gelingt, liegt Bewunderung in ihren Stimmen. Ein Nationalstolz, der erst andere abwerten muss, um zu glänzen, der mit einer geradezu kindlichen Geste der Fingerspitzen ins Feld getragen wird, so einer ist ihnen gänzlich fremd. Die Fußball-Europameisterschaft führt uns neben sportlichen Höchstleistungen auch vor Augen, was „besser“ und „schlechter“ tatsächlich bedeutet und was es unter gar keinen Umständen jemals wieder heißen darf.
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