Wo sind die Frauen im Literaturkanon?

Vorarlberg / 24.10.2024 • 15:20 Uhr
Lesung, Teresa Reichl in der Stadtbibliothek Dornbirn
Teresa Reichl las in der Stadtbibliothek Dornbirn. MKA

Die Kabarettistin und Autorin Teresa Reichl las in der Stadtbibliothek aus ihrem aktuellen Buch.

Dornbirn Autoren wie Goethe, Schiller oder Heine haben schon seit Generationen einen festen Platz im deutschen Literaturkanon und müssen Jahr für Jahr in Schulen gelesen werden. Im Gegensatz dazu sind Bücher von Frauen im Kanon deutlich weniger häufig anzufinden. Doch warum ist das so? Diese Frage stellte sich die deutsche Germanistin und Influencerin Teresa Reichl in ihrem Buch „Muss ich das gelesen haben?“. Das stellte die Autorin in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Feldkirch in der Stadtbibliothek vor.

Lesung, Teresa Reichl in der Stadtbibliothek Dornbirn
Reichl befasst sich mit Klassikern der Literatur.

Männerlastiger Kanon

Teresa Reichl begann ihren Vortrag damit, einen Teil aus dem Buch vorzulesen, der beschreibt, wie Lesen einen positiven Einfluss auf unser Leben haben kann. Damit wollte die Autorin besonders an Jugendliche appellieren, die ihrer Meinung nach am wenigsten lesebegeistert sind. Als Nächstes übte die Germanistin Kritik am deutschen Literaturkanon. „Eine sehr kleine Gruppe an Menschen entscheidet darüber, was in Schulen gelesen wird und die Autoren dieser Werke gehören typischerweise sieben Kategorien an“, meinte Reichl. Diese Kategorien seien weiß, heterosexuell, nicht-behindert, wohlhabend, christlich, männlich und cis, sich also dem männlichen Geschlecht auch zugehörig fühlend. Dieser Fakt stört die Germanistin schon seit Studientagen. „Frauen haben trotz erschwerten Bedingungen immer schon geschrieben, oft unter Pseudonymen“, betonte Reichl. Schulbücher sollten ihrer Meinung nach alle Menschengruppen repräsentieren und nicht nur drei bis fünf Prozent der Menschheit, wie bisher.

Lesung, Teresa Reichl in der Stadtbibliothek Dornbirn
Die Autorin vermisst Frauen im Kanon der klassischen Literatur.

Keine Wertschätzung

Absurderweise seien von Männern geschriebene Bücher über Frauen Teil der in Schulen gelesenen Bücher. „Das Problem sind also nicht Frauen an sich, sondern kunstschaffende Frauen“ gab Teresa Reichl zu Bedenken. Der Grund dahinter sei, dass deutsche Schriftsteller wie Goethe auf ein Podest gestellt würden, wo sie frei von jeglicher Kritik seien. Eine weitere Erklärung für den Mangel an Frauen im Kanon sei laut der Autorin die Angst vor Frauenthemen sowie bei manchen auch die Verachtung von Frauen. „In der Vergangenheit wurden Werke von Frauen oft belächelt und als ausschließlich von Frauen für Frauen angesehen“, meinte Reichl. Literatur von Frauen sei aber zumindest inzwischen gut erforscht, was bei behinderten oder queeren Autoren und Autorinnen leider noch nicht der Fall sei. Deshalb beschränkte sich der Vortrag auf Frauen und nicht auf eine der sechs anderen Kategorien.

Macken und Marotten

Ihre Lesung schloss die Kabarettistin mit ein paar amüsanten „Fun Facts“, auf die sie während dem Schreiben ihres Buches stieß. Diese bezogen sich unteranderem auf den intensiven Alkohol- und Drogenkonsum vieler Schriftsteller wie auch ihre zahlreichen Marotten und Eigenheiten. Beispielsweise habe Goethe eine Liebe für Modelleisenbahnen gehabt und Oskar Wilde sei mit seinem Hummer des Öfteren Gassi gegangen. „Nachts badete Goethe gerne nackt in der Ill und wurde infolgedessen Nixe der Ill genannt“, erzählte Teresa Reichl am Ende ihres Vortrags, um das Publikum daran zu erinnern, dass wir alle nur Menschen sind.
Bei der darauffolgenden Diskussionsrunde wurde die Autorin gefragt, welches eine Buch sie am liebsten im Literaturkanon sehen würde. Ihre Antwort darauf war „Aus guter Familie“ von Gabriele Reuter. Letztlich betonte Teresa Reichl noch: „Es ist in Ordnung und erlaubt, Klassiker und Autoren nicht zu mögen, auch wenn sie im Kanon stehen.“ MKA