Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Liebe

Vorarlberg / 21.11.2024 • 07:12 Uhr
Liebe

Ich habe gelesen, dass es in Nordkorea ein Wort für Liebe zu einem politischen Regime, nicht jedoch für die Liebe zwischen zwei Menschen gibt. Haben die Menschen ein geheimes Wort dafür?

„Ich spielte viele Varianten durch, aber weil ich ja nichts wusste, gewöhnte ich es mir ab.“

Ich kannte eine junge Frau, die sehr diszipliniert mit sich war, nur bestimmte Dinge aß, meistens nichts. Aßen die anderen, entschuldigte sie sich und zog ihre Joggingkleidung an. Sie joggte dann, bis wir mit dem Essen fertig waren. Sie half mit, den Tisch abzuräumen, sie polierte die Gläser, und wenn sie allein in einem Zimmer war, hörte ich sie singen. Ohne Text aber mit heller Stimme, eine La-la-la-Melodie. Wenn jemand an der Tür vorbeiging, verstummte sie. Sie war mager wie ein mageres Kind, das nicht genug zu essen bekommt. Ihr Gesicht fand ich hübsch. Ihre Kleider wählte sie extravagant, sie zog an, was andere nicht anzogen. Ihre Haare trug sie hochgesteckt, so dass ihre Wangenknochen hervortraten. Ich dachte mir, sicher gibt es Männer oder Frauen, die auf so einen Typ wie sie abfahren – eine dumme Formulierung, ich übernehme sie aber gern.

So geschah es, dass ein Mann sich in sie verliebte und alles an ihr interessant fand. Er bemühte sich, weniger zu essen, um sich ihr anzugleichen. Sie waren miteinander vertraut, was sie sprachen, wusste ich nicht. Oft lachten sie, also war alles gut.

Sie übte einen Beruf aus, der mit Genauigkeit zu tun hatte, etwas Spezielles. Fragte man sie, was es sei, sagte sie, es sei viel zu kompliziert, als dass sie es erklären könne. Ihr Freund wusste es auch nicht. Er war Künstler, und ihm gefiel, was nicht der Norm entsprach.

Einmal ergab es sich, dass ich mit dem jungen Mann auf einer Bank unter einem Baum saß. Es war im Herbst, und er fing die herabfallenden Blätter. Auf meine Frage, wie es im gehe, nickte er und lachte ein wenig schief, ihm gehe es nur wirklich gut, wenn es seiner Freundin gut gehe. Geht es ihr denn nicht gut, fragte ich.

„Aber ja“, sagte er, sie strahle schon am Morgen und den ganzen Tag über. Das komme, vermutete ich und sagte es auch, weil sie in ihn verliebt sei. „Eben“, sagte er, er liebe sie auch, sei sich aber der großen Verantwortung bewusst.  Sie habe bis zu dem Zeitpunkt, als sie auf ihn traf, schwer unter einer traumatischen Begebenheit gelitten, aber er wolle auf keinen Fall darüber sprechen. Ich hatte nicht vor, ihn auszufragen, dennoch beschäftigte mich ihr Unglück. Ich spielte viele Varianten durch, aber weil ich ja nichts wusste, gewöhnte ich es mir ab.

Wir verloren uns aus den Augen, und als ich die beiden einige Jahre später wieder traf, waren sie immer noch zusammen und schienen zufrieden, bis auf seinen Kummer, dass er gerne ein Kind gehabt hätte, aber sich davor fürchtete. Seine Frau war eine Querdenkerin und in ihrer Verweigerung der Medizin so unduldsam, dass er sich nicht zutraute, ein Kind zu wollen. Es würde nicht geimpft werden, sie wären nicht krankenversichert und würde das Kind krank werden … Er drehte seinen Kopf weg und ich blieb stumm.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.