Spielsucht: “Nur etwa 20 Prozent schaffen den Ausstieg – und selbst das ist optimistisch geschätzt”

Spielsucht betrifft in Österreich bis zu 60.000 Menschen und hat eine Rückfallquote von etwa 80 Prozent. Psychologin Yvonne Skrabl-Postai im VN-Interview über die zerstörerischen Mechanismen der Spielsucht, ihre Auswirkungen auf Angehörige und den schwierigen Weg des Ausstiegs.
Darum geht’s:
- Spielsucht betrifft rund 60.000 Menschen in Österreich
- Familien werden durch Spielsucht eines Angehörigen stark belastet
- Heilung von Spielsucht ist schwierig, sagt Psychologin Yvonne Skrabl-Postai
Schwarzach Die Spielsucht eines Angehörigen kann das Leben von Familien vollständig aus der Bahn werfen. Dies zeigte die VN-Reportage über Monika S.*, deren Mann in einen Strudel aus Glücksspiel und finanziellen Verlusten geriet. Diese Geschichte ist kein Einzelfall: Allein in Österreich sind etwa 60.000 Menschen betroffen. Der Kampf gegen diese Sucht ist schwierig, für Betroffene wie für deren Umfeld.
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Psychologin und Verhaltenstherapeutin Yvonne Skrabl-Postai kennt die Herausforderungen, die mit Spielsucht einhergehen, aus erster Hand. Nach ihrer langjährigen Tätigkeit im Krankenhaus Maria Ebene, wo sie bis 2019 unter anderem Ansprechperson für die stationäre Therapie von Patienten mit Glücksspielsucht war, arbeitet sie heute in freier Praxis in Bregenz und Klaus. Im VN-Interview spricht sie über die Mechanismen der Sucht, ihre Auswirkungen und den schwierigen Weg zur Heilung.
Wie verbreitet ist Spielsucht in Vorarlberg?
Yvonne Skrabl-Postai Die offiziellen Zahlen gehen von etwa einem Prozent der Bevölkerung aus, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher liegt. Spielsucht ist oft schwer zu erkennen, da sie lange Zeit verborgen bleibt. Besonders durch Smartphones und Online-Wetten hat sich das Problem in den vergangenen Jahren verschärft. Einige Formen wie Sportwetten gelten in Österreich nicht einmal als Glücksspiel, was internationale Fachkollegen oft erstaunt. Mit der Pandemie haben wir außerdem einen Anstieg der Spielsucht verzeichnet.
Was macht die Erkrankung so perfide?
Skrabl-Postai Zum einen wird sie häufig verharmlost und bleibt deshalb oft lange unerkannt. Mechanismen, die wir aus anderen Süchten kennen, wie Verleugnung und Lügen, greifen auch hier stark. Viele Betroffene rechtfertigen ihr Verhalten und haben Schwierigkeiten, die Krankheit einzusehen. Zudem sind Angehörige oft die Ersten, die erkennen, dass etwas nicht stimmt.
Wann gilt jemand als spielsüchtig?
Skrabl-Postai Wie bei anderen Süchten gibt es klare Anzeichen: Betroffene denken ständig ans Spielen, planen den nächsten Einsatz oder erinnern sich gedanklich an Spielerfahrungen. Glücksspielsucht, bei der es um Geld geht, führt oft zu einem Kreislauf von Beschaffung und hohen Einsätzen. Ein anerkanntes Screening-Tool, der sogenannte CCCC-Fragebogen, hilft bei der ersten Einschätzung. Schon zwei positive Antworten – etwa auf Fragen wie „Haben Sie andere wegen Ihres Spielens angelogen?“ – weisen auf eine mögliche Abhängigkeit hin.
Hat Spielsucht ein „typisches Gesicht“?
Skrabl-Postai Die Persönlichkeitsveränderungen sind oft auffällig. Betroffene wirken gereizt, erleben Stimmungsschwankungen und vernachlässigen ihren Schlaf – viele spielen die ganze Nacht durch. Diese Belastungen führen zu enormem Stress, der sich körperlich und emotional bemerkbar macht. Gleichzeitig versuchen Betroffene, ihre Sucht durch „doppelte Buchhaltung“ – geheime Konten oder versteckte Ausgaben – zu kaschieren. Diese Scham und Angst vor Gesichtsverlust machen die Krankheit umso belastender.
Gibt es Unterschiede bei den Betroffenen?
Skrabl-Postai Die Mehrheit sind junge Männer zwischen 25 und 35 Jahren, oft mit Migrationshintergrund. Frauen sind seltener betroffen. Bei jeder Sucht – und das gilt auch für die Spielsucht – steckt oft ein Bedürfnis dahinter: Probleme mit der Selbstregulation, ein geringes Selbstwertgefühl oder seelische Erkrankungen wie Depressionen oder Traumata.
Wie gestaltet sich die Therapie und wie stehen die Erfolgsaussichten?
Skrabl-Postai Die größte Hürde ist die Krankheitseinsicht. Viele Betroffene kommen nur fremdmotiviert in die Therapie, etwa auf Druck der Familie. Erfolgreiche Behandlungen setzen voraus, dass die Motivation und Ressourcen vorhanden sind. Stationäre Einrichtungen wie das Krankenhaus Maria Ebene oder die Beratungsstellen CLEAN leisten hier wichtige Arbeit. Leider zeigen Statistiken, dass die Rückfallquote hoch ist. Nur etwa 20 Prozent schaffen den Ausstieg dauerhaft – und selbst das ist optimistisch geschätzt.
Was können Angehörige tun, um sich selbst zu schützen?
Skrabl-Postai Für Angehörige ist es entscheidend, klare Grenzen zu setzen und sich selbst nicht zu vergessen. Symptome von massiver Erschöpfung, und auch depressive Verstimmungen sind bei Angehörigen keine Seltenheit – deutliche Alarmzeichen sich selbst Hilfe zu holen. Sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen muss die Notwendigkeit der Abstinenz deutlich gemacht werden. Zu einem kontrollierten Umgang mit Glücksspielen zurückzufinden, nachdem man in die Sucht gerutscht ist, ist meiner fachlichen Ansicht nach nicht möglich. Informationen über die Erkrankung sind somit für die Angehörigen ein wichtiger erster Schritt. Kurz: Informieren, sich selbst Hilfe holen, sich abgrenzen und schützen, konsequent sein (keine Schulden übernehmen und kein Geld geben!), auf die eigenen Ressourcen achten und viel reden.
*Name von der Redaktion geändert
Anlaufstellen in Vorarlberg
Die Beratungsstellen Clean bieten professionelle Unterstützung für Menschen mit Drogenproblemen, substanzungebundenen Süchten wie Spielsucht oder Essstörungen. Auch Angehörige und Bezugspersonen können Beratung und Betreuung in Anspruch nehmen.
Beratungsstelle CLEAN BREGENZ
Montfortstrasse 3 / 3. OG, 6900 Bregenz
T 05574 45400
E clean.bregenz@mariaebene.at
Barrierefreiheit gegeben
Beratungsstelle CLEAN FELDKIRCH
Schießstätte 12 – Top 8, 6800 Feldkirch
T 05522 38072
E clean.feldkirch@mariaebene.at
Barrierefreiheit nicht gegeben
Beratungsstelle CLEAN BLUDENZ
Kasernplatz 5, 6700 Bludenz
T 05552 65040
E clean.bludenz@mariaebene.at
Barrierefreiheit gegeben
Krankenhaus Maria Ebene:
Therapie von Alkohol- und Medikamenten- und Nikotinabhängigkeit, aber auch von Verhaltenssüchten, speziell des pathologischen Glücksspiels und der Internetsucht:
www.mariaebene.at/krankenhaus-maria-ebene/beitraege/gluecksspielsucht
Zur Person: Yvonne SKrabl-Postai
- Studium der Psychologie in Wien, postgrad. Ausbildung zur
Klinischen Psychologin und Gesundheitspsychologin sowie zur
Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie - Als Klinische Psychologin und Verhaltenstherapeutin seit 2008 in
freier Praxis, derzeit in Bregenz und Klaus - Von 1998 bis 2019 in der stationären Behandlung von
Suchterkrankten (Alkohol, Medikamente, Spielsucht,…) tätig. - Von 2012 bis 2019 Ansprechperson für die stationäre Therapie von
Patient:innen mit Glückspielsucht im Krankenhaus Maria Ebene
Lehrtherapeutin und Lehrbeauftragte für Verhaltenstherapie - Aktuelle Themenschwerpunkte: Depression, Burnout, Sucht, Angstund Zwangserkrankungen, Trauma, Essstörungen, Borderline, Persönlichkeitsstörung