Skitouren und Lawinen: “Bei manchen halten sich noch unsinnige Einstellungen”

Was beim Skitourengehen derzeit besonders gefährlich ist und worauf Freizeitsportler achten sollten.
Schwarzach, Bregenz 3. Jänner 2025: Lawinenabgang auf einer Skiroute in Lech-Zug. 4. Jänner 2025: Lawinenabgang auf einer Variantenabfahrt in Schröcken – Skiführer verschüttet. 5. Jänner 2025: Lawinenabgang auf eine Skipiste in Lech. 10. Jänner 2025: Zwei Lawinenabgänge im freien Skiraum in Lech. In den ersten zehn Tagen des Jahres ist es in Vorarlberg bereits zu mindestens fünf Lawinenabgängen gekommen. Die Lawinengefahr lag an allen Tagen bei Stufe 2 oder 3 und war damit vermeintlich gar nicht so hoch. Doch die Lage ist Experten zufolge trügerisch.

„Die Gefahrenstufe 3 ist die am schwierigsten einschätzbare Stufe und folglich die, bei der die meisten Unfälle passieren. Da braucht es für die Tourenplanung und -führung schon Personen, die sehr solides Wissen und mehrjährige Erfahrung haben“, unterstreicht Martin Bentele (69), der seit mehr als 40 Jahren bei den Naturfreunden Instruktor für Klettern, Bergsteigen und Skibergsteigen ist und langjähriges Mitglied des Naturfreunde-Bundeslehrkaders Alpin und Ausbildner in den Lehrwarteausbildungen der Bundesanstalt für Leibeserziehung (BAFL) Linz für Bergsteigen und Skibergsteigen war. „Das Hauptrisiko sind gerade die mit starkem Wind verfrachteten Triebschneeablagerungen bei Gefahrenstufe 3 in höheren Lagen ab 2000 Metern. In über etwa 2400 Metern gibt es eingeschneite Schwachschichten. Darunter ist Gefahrenstufe 2. Da können die Gleitschneerutsche bis zum Boden oder harte Firnfelder gefährlich sein“, erläutert er.

Neue Gefahren
Das Skitourengehen sei aufgrund der guten Wettervorhersagen, Lawinenlageberichten, der Notfallausrüstung und der Forschungs- und Aufklärungsarbeit inzwischen zwar ein recht sicherer Sport geworden, sagt Bentele. Die Änderungen der Wetterlagen und in der Folge der Schneedecken im Winter würden aber gerade im Mittelgebirge auch die Gefahren verändern. „Vermehrt harte Schneefelder oder viel mehr Gleitschneelawinen und dünne Schneeschichten mit anschließend längeren Kälteperioden im ersten Teil des Winters begünstigen später schwer erkennbare störanfällige Schichten in der Schneedecke. Diese Situation haben wir seit einigen Jahren. Das kann leicht auch heuer, wie in den Wintern 2021/22 und 2022/23, zu sogenannten ,Lawinenzeiten‘ mit einem plötzlichen Ansteigen von Lawinenabgängen und Unfällen in begrenzten Zeiten und Regionen führen”, warnt der erfahrene Instruktor.

Als besonders problematisch sieht der 69-Jährige Selbstüberschätzung und ein blindes Vertrauen in erfahrene Führende. „Gut ausgebildete, kritisch mitdenkende Teilnehmende bringen Führende manchmal in schwierige Situationen, sie können aber auch ein gutes Korrektiv zur sogenannten Expertenfalle sein“, merkt er an. Außerdem würden sich bei manchen “alten Hasen”, Alleingängern und jungen Draufgängern, meist männlichen Geschlechts, unsinnige Einstellungen halten. “Zum Beispiel, dass man erst ab Stufe 3 das Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) einschalten muss, oder dass Hänge, in die schon jemand reingefahren ist, oder sogenannte Lawinenmäuler sicher sind”, berichtet Martin Bentele.



LVS, Sonde und Schaufel gehören mittlerweile zur Standardausrüstung. Der Experte rät zudem zu Harscheisen und zu einem Zweimann-Biwaksack. “Harscheisen gehören zur Bindung, werden aber nie mit verkauft oder gar angeboten. Meines Erachtens ein Fehler, da sie bei sehr harten Passagen, die vermehrt auch im Mittelgebirge auftreten, sehr hilfreich sind, um in diesen Fällen noch mit den Ski höher steigen zu können. Und ein Zweimann-Biwaksack spendet nicht nur Schutz vor Wind und dem Auskühlen, sondern ist für vielfache Zwecke wie Biwackbau oder den Abtransport eines Verletzten an einen sicheren Ort sehr hilfreich. Einmann-Biwacksäcke sind dafür nicht geeignet”, führt er aus.

Die Naturfreunde bieten seit rund 40 Jahren einwöchige Skitourenkurse vorwiegend in der Silvretta an. Am kommenden Samstag startet eine Skitouren- und Tiefschneetechnikwoche speziell für Frauen, für die noch Restplätze frei sind. Martin Bentele verweist auf die Wichtigkeit solcher Ausbildungen: „Der Lawinenlagebericht liefert allgemeine Daten und Einschätzungen. Wenn man auf Tour ist, müssen diese Daten mit der Realität an dem bestimmten Tag und Hang überprüft werden. Das lernt Mann wie Frau nicht in einem Tageskurs.“
Tipps des Experten
> Das Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) sollte über drei Antennen verfügen und – im Idealfall jährlich vor der Saison – einer Prüfung durch den Hersteller unterzogen werden. Die Batterien sind zu wechseln. Ein gutes Mobiltelefon mit aufgeladenen Batterien wie eine gute Landkarte (ggf. Ausdruck) und ein Erste Hilfe-Päckchen gehören unbedingt dazu. Ein Helm für die Abfahrt ist laut Bentele inzwischen auch schon fast Standard und bei schneearmen Wintern sowieso zu empfehlen.
> Auf Hänge mit problematischen Ausrichtungen wie Nord und Ost und/oder bestimmte Neigungen (z. B. über 30 Grad an der steilsten Stelle) verzichten, um konkrete Gefahren zu reduzieren. Nicht erst am Nachmittag in von der Sonne völlig durchweichte Hänge steigen oder Rinnen queren, sondern schon am Vormittag.
> Die Lawinenlageberichte genau studieren und an die Empfehlungen halten. Solange man sich nicht länger und intensiver mit den Themen befasst hat, ist eine defensive Tourenwahl angezeigt.
Naturfreunde-Kursprogramm
Sa, 18. bis Sa., 25. Jänner: Skitouren- und Tiefschneetechnikwoche für Frauen Einführung in wichtige Grundlagen des Skitourengehens mit zwei Tagen Tiefschnee-Skitechniktraining auf der Skipiste, Anforderung: Kondition für vier bis fünf Stunden in angenehmem Aufstiegstempo bis 800 Höhenmeter
Sa, 8. bis 15. Februar (Semesterferien): Skitouren- und Tiefschneetechnikkurs Einführung in wichtige Grundlagen des Skitourengehens mit zwei Tagen Tiefschnee-Skitechniktraining auf der Skipiste, Anforderung: Kondition für vier bis fünf Stunden in langsamem Aufstiegstempo bis 800 Höhenmeter
Sa, 29. März bis Sa, 5. April: Aufbaukurs Skihochtouren in steilem Firn und Gletscher spezielle Skifahrtechnik in steilem und hartem Firn, Gelände- und Gletscherkunde, Umgang mit Steigeisen, Pickel, Seilsicherung am Gletscher und in steilem Firn, Spaltenbergung, Vertiefung Tourenplanung und -führung, Gefährdungseinschätzung, Entscheidungsfindung, Gruppendynamik.
Anmeldungen: beim Naturfreunde-Landesbüro Vorarlberg, Tel. 05574 45781, vorarlberg@naturfreunde.at.
Nähere Infos unter: www.vorarlberg.naturfreunde.at
Für die Teilnahme an den Ausbildungen ist eine Naturfreunde-Mitgliedschaft Voraussetzung (kann ggf. auch mit der Anmeldung erfolgen).