Weckruf
Ein Weckruf für Politik und Medizin: Die Vernachlässigung von über 80.000 Patienten mit ME/CFS in unserem Gesundheitssystem verlangt dringend nach Lösungen, kommentiert VN-Redakteurin Marlies Mohr.
Diese Begegnung ging mir unter die Haut. Mit eigenen Augen zu sehen, welch‘ zerstörerische Wirkung eine Erkrankung wie ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) haben kann, ist etwas ganz Anderes, als nur davon zu hören.
In der schlimmsten Ausprägung macht sie Betroffene zu hilflosen Geschöpfen, die nur tatenlos zusehen können, wie ihr Leben in einem Strudel aus Schmerzen und Erschöpfung an ihnen vorbeizieht. Einzig die Zuwendung lieber Menschen und die Hoffnung auf eine Behandlungsmöglichkeit hält sie aufrecht. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass es die Coronapandemie brauchte, um die Aufmerksamkeit auf ME/CFS zu lenken. Aufgestanden, um sich Gehör zu verschaffen, sind allerdings die Erkrankten selbst.
Jene, in deren Verantwortung es läge, Rahmenbedingungen für eine gute Versorgung zu schaffen, haben hingegen noch wenig bis gar nichts unternommen. Großmütig attestieren Betroffene der Politik zumindest Problembewusstsein. Geholfen ist ihnen damit aber nicht. Was sie dringend brauchen, ist eine Anlaufstelle, wo sie kompetente Unterstützung erfahren. Die Betonung liegt auf kompetent, denn es grenzt irgendwie an Zynismus, wenn ME/CFS-Patienten zwar in eine hohe Pflegestufe kommen, gleichzeitig aber als arbeitsfähig eingestuft werden. Fälle, wie sie inzwischen zuhauf bekannt sind, müssen ein Weckruf sein, für die Politik und die Medizin. Es kann und darf nicht sein, dass in unserem so hochgepriesenen Gesundheitssystem eine Patientengruppe, die mit mehr als 80.000 Betroffenen wahrlich keine Minderheit mehr ist, durch den Rost fällt.
Kommentar