Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Und im Kreise scheu . . .

Vorarlberg / 21.01.2025 • 18:18 Uhr

Für oder gegen mich, ist das die neue Grundmelodie unserer Tage? Das Gespräch versiegte plötzlich. Perlte eben noch fröhlich dahin. Jetzt wurde es einsilbig. Einer hatte die politische Karte ins Spiel gebracht. „Was da wohl auf uns zukommt?“, hatte er gefragt. Er mache sich halt Sorgen. Wer tut das nicht heutzutage? Und doch kippte die Stimmung. Wie die Raubkatzen in Friedrich Schillers Gedicht „Der Handschuh“ umkreisten jetzt alle auf leisen Pfoten das unsichtbare Ungeheuer in der Mitte: „Und im Kreise scheu umgeht er den Leu“, beschreibt Schiller den Tiger, der sich alsdann „grimmig schnurrend“, aber in Respektsabstand niederlässt.

„Der Leu“ war die Frage nach der ideologischen Beheimatung. Sie lastete schwer im Raum. Unausgesprochen, aber unerbittlich. Duldete nur ein Richtig oder Falsch, Gut oder Böse, und dazwischen keimte der Verdacht. Hatte die Gastgeberin erkennen lassen, dass sie „dem anderen Lager“ angehörte? Führte der gemütliche Mitfünfziger plötzlich eine ungeahnte Schärfe in der Stimme? War das Argument der Sachzwänge nur ein Bekenntnis zu den Regierenden, die da heraufdämmern? Wer war wo zuhause? Hatte man sich so getäuscht?

Später fand man zum Lachen zurück, aber die Herzlichkeit hatte gelitten. Das Lagerdenken hatte sie ramponiert. Es ersetzt differenziertes Denken durch plumpe Feindbilder: Für oder gegen mich. Wir sollten uns vorsehen, sonst geht unser Zusammenleben auf leisen Pfoten in die Brüche.