Kinderarmut: “Pädagogen halfen Kindern mit Geldbeträgen oder wuschen deren Kleidung”

Elementarpädagogin Andrea Fussenegger beleuchtet die Realität der Kinderarmut in Kindergärten.
Rankweil „Alle von mir interviewten Elementarpädagogen haben bereits persönliche materielle Hilfe für betroffene Familien geleistet“, berichtet Andrea Fussenegger, Leiterin des Kinderhauses Markt, die Kleinkindbetreuung in Rankweil. In ihrer Bachelorarbeit befasst sich die Pädagogin mit armutssensiblen Verhaltensweisen im Kindergarten und rückt ein oft tabuisiertes Thema in den Fokus.

Indiz Jausenbox
Wie zeigt sich Armut im Kindergarten? Ein Merkmal ist die mitgebrachte Jause: Kinder aus einkommensschwachen Familien bringen häufiger Fertigprodukte mit. “Oft fehlen Obst und Brot, stattdessen überwiegen in Plastik verpackte, zuckerreiche Produkte”, erklärt Fussenegger. “Diese erfordern keine aufwendige Zubereitung. Die psychische Belastung durch Armut ist enorm, oft fehlen Ressourcen und Zeit für die Zubereitung einer gesunden Jause.”
Armut in Vorarlberg
Laut der Statistik Austria waren 2023 bis zu 88.000 Menschen in Vorarlberg armutsgefährdet. Das sind etwa 17,9 Prozent der Vorarlberger Bevölkerung.
Davon sind bis zu 26.000 Personen, oder rund 30 Prozent, Kinder unter 18 Jahren.
Auch die soziale Teilhabe der Kinder ist durch Armut eingeschränkt. Zu Hause ist das soziale Umfeld armutsbetroffener Familien oft eingeschränkt, der Wohnraum ist begrenzt. “Da wird Spielzeug gekauft, das wenig Platz benötigt, etwa ein Fernseher. Das Kind ist beschäftigt, und die Eltern können kurz durchatmen.” Die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder würden ebenso oft mit Armut zusammenhängen.

Im Kindergarten selbst können sich viele betroffene Familien Ausflüge oder sportliche Aktivitäten im Kindergarten oft nicht leisten. “Dabei finden die meisten sozialen Kontakte der Kinder in elementarpädagogischen Einrichtungen statt. Daher ist es wichtig, allen Kindern in diesen Einrichtungen gleiche Chancen zu ermöglichen”, betont Fussenegger.
Die Rolle der Elementarpädagogen
Kinderarmut ist nicht nur in der Elementarpädagogik ein tabuisiertes Thema. „In wohlhabenden Ländern wie Österreich bleibt Armut oft unsichtbar”, gibt Fussenegger zu bedenken. “Sie ist mit großer Scham verbunden und wird häufig verborgen. Es wird zu wenig darüber gesprochen, und man hat kaum Einblicke in die Realität betroffener Personen. Es fehlt der Austausch und auch das Verständnis.”

Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit fand Fussenegger heraus, dass viele Elementarpädagogen betroffene Kinder bereits mit materiellen Hilfen unterstützt hatten – etwa mit Geldbeträgen oder dem Waschen von Kleidung. „Das ist gut gemeint, aber nicht nachhaltig. Die Elementarpädagogik kann Armut nicht bekämpfen“, stellt Fussenegger klar, „aber sie kann zur Chancengerechtigkeit beitragen. Es beginnt damit, allen Kindern den Zugang zu einer Einrichtung zu ermöglichen.”
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Wirkungsvoll sei es, Eltern aktiv einzubinden, den Austausch zu fördern und Hilfsangebote bekannt zu machen. Nur durch vertrauensvolle Beziehungen könne man betroffene Familien erreichen und unterstützen. Auch die soziale Isolation soll verhindert werden. „Ein Familientreff kann viel bewirken”, meint Fussenegger. “Eltern kommen zusammen, tauschen sich aus, trinken gemeinsam Kaffee. Es ist wichtig, Netzwerke aufzubauen, die als Unterstützung dienen können.“ Zudem können Kleidertauschbörsen und Spielzeugbasare eine wertvolle Hilfe sein.
Die Elementarpädagogik kann Armut nicht bekämpfen. Aber sie kann zur Chancengerechtigkeit beitragen.
Andrea Fussenegger, Elementarpädagogin und Leiterin des Kinderhaus Markt in Rankweil
Ebenso müssten Fachkräfte ihr Bewusstsein schärfen, um unbeabsichtigte Ausgrenzung zu vermeiden. „Wenn die Kinder zum Beispiel gefragt werden, welche Weihnachtsgeschenke sie bekommen haben, erfinden von Armut betroffene Kinder häufig etwas, um nicht ausgegrenzt zu sein. Die Pädagogen meinen es nicht böse, aber wir müssen achtsam sein“, betont Fussenegger. “Auch elementarpädagogische Fachkräfte müssen ihre eigenen Vorstellungen von Normalität hinterfragen. Das ist entscheidend, um letztlich armutssensibel handeln zu können.” VN-SCN
Hilfe bei Armutssituationen
Volkshilfe Vorarlberg:
+43 650 6594543
kinderarmut@volkshilfe-vlbg.at
Caritas Vorarlberg:
familienhilfe(at)caritas.at
- Ab Rankweil Richtung Bregenz:
05522 200-1043 - Ab Feldkirch Richtung Bludenz:
05522 200-1049