Funken am Weltfrauentag: Gehört die Hexe noch ins Feuer?

Pro und Kontra: Der Funken steht für Vorarlberger Brauchtum – doch die Funkenhexe sorgt für Diskussionen. Während viele an der Symbolfigur festhalten, fordern Kritiker eine Veränderung und eine zeitgemäße Neuausrichtung.
Von Matthias Rauch & Mirijam Haller
Schwarzach Jedes Jahr werden in Vorarlberg Funken abgebrannt, um den Winter zu vertreiben – und mit ihnen wird traditionell eine Hexenfigur verbrannt. Dieses Jahr fällt der Funkensamstag ausgerechnet auf den Weltfrauentag. Ist dieses Ritual in seiner heutigen Form noch zeitgemäß? Während die einen es als festen Bestandteil des Brauchtums sehen, kritisieren andere die symbolische Last der Hexenverbrennung und fordern eine Neuausrichtung. Im VN-Interview sprechen Stefania Pitscheider Soraperra, Direktorin des Frauenmuseums Hittisau, und Barbara Lässer, Verbandspräsidentin der Vorarlberger Fasnatzünfte und Gilden, über die Bedeutung von Brauchtümern, mögliche Veränderungen und beleuchten die Frage, ob die Hexe als Symbolfigur weiterhin ihren Platz haben sollte.

Die Figur der “Hexe” hat historisch eine belastete Bedeutung. Ist es vertretbar, sie weiterhin als zentrale Symbolfigur des Funkens zu verwenden?
Pitscheider Soraperra Nein, denn die rituelle Verbrennung einer als weiblich identifizierten Figur reproduziert – bewusst oder unbewusst – Muster der Ausgrenzung und Gewalt gegen Frauen. Nicht zuletzt zeigt die hohe Femizidrate die Notwendigkeit auf, diesen Teil der Tradition zu hinterfragen und nach zeitgemäßen Alternativen zu suchen. Die Funkenhexe ist kein jahrhundertealtes Brauchtum, sondern wurde erst im 19. Jahrhundert in den Funkenbrauch integriert. Sie trägt aber eine symbolische Last, die sich nicht einfach von den historischen Hexenverfolgungen entkoppeln lässt. Zwar gibt es keinen direkten linearen Bezug, trotzdem wirken bestimmte Bilder unterbewusst weiter, solange sie nicht kritisch aufgearbeitet werden. Auch symbolische Gewalt ist Gewalt.

Lässer Historisch gesehen stand der Funkenbrauch im 19. Jahrhundert vor dem Aussterben. Um den mit der Narretei eng verbundenen und sehr alten „Feuerbrauch“ neu beleben zu können, interpretierten die damaligen Generationen den überlieferten Brauch in Teilen gemäß der populärkulturellen Gesellschaft. Aus dem historischen Ansatz entstand hierbei die Attraktivierung der „Gebrüder-Grimm-Märchen“ zur Belebung des Funkenbrauchs. Die Verbrechen im Spätmittelalter mit den Hexenprozessen und Hexenverbrennungen können allerdings nachweislich durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mit der gegenwärtigen Pflege des Funkenbrauchs in primären Einklang gebracht werden. Bräuche und Rituale, die in der Gesellschaft eine Verankerung finden, zelebrieren den Charakter der Entwicklung und zielen im konkreten Fall nicht auf die Diskriminierung oder Verharmlosung ab. Die „Funkenhexe“ wird in vielen Gemeinden als ein von mehreren Bestandteilen des feurigen Spektakels betrachtet, die letztendlich den Winter austreiben soll, was auf die historischen Ansätze der Fasnat in Bezug auf die Symbolik der „Fruchtbarkeit“ zurückzuführen ist.

Wie nehmen Sie die öffentliche Debatte rund um das Hexenverbrennen beim Funken wahr? Ist es eine überfällige Auseinandersetzung oder eine übertriebene Sensibilisierung?
Pitscheider Soraperra Die Debatte ist überfällig. Seit über 25 Jahren weisen Historiker:innen darauf hin, dass die Hexenfigur späte Ergänzung ist und nicht etwa eine „alte Tradition“. Viele empfinden diese Praxis als problematisch, doch die Kritik wird oft als übertriebene Sensibilität abgetan. Geschichte zeigt aber, dass gesellschaftlicher Fortschritt mit der Reflexion über Rituale einhergeht. Niemand würde heute den Krampus noch Kinder schlagen lassen, nur weil es früher so war. Unser Bewusstsein für die Auswirkungen von Gewalt – auch symbolischer – hat sich verändert. Wer für Respekt und Gleichstellung eintritt, sollte bereit sein, Bräuche zu hinterfragen. Jede lebendige Kultur entwickelt sich weiter – das macht sie stark.

Lässer Diese öffentliche Debatte ist ein sehr komplexes Thema, das von den freiwillig Engagierten rund um die Planung und Durchführung des Funkenabbrandes in den Gemeinden durchaus polarisiert wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite kann sie als überfällig betrachtet werden, da hier Teile der Gesellschaft nun zwingend eine kritische Reflexion der Abläufe einfordern. Die Bewusstseinsbildung und Reflexion im Brauchtums- sowie Veranstaltungswesen gehören durchaus zur „DNA“ der Handlungstragenden, allerdings sollte ein Diskurs auf Augenhöhe und nicht mit dem Ziel von neuen Verboten und einer allfälligen einseitigen Stigmatisierung zu Lasten des Ehrenamts betreffend des Funkenbrauchs passieren.

Braucht es Veränderungen und Anpassungen, um dem Funken als Brauchtum am Leben und relevant zu halten und wie könnten diese aussehen?
Pitscheider Soraperra Ja, eine starke und lebendige Tradition zeigt sich daran, dass sie sich weiterentwickeln kann. Die Faszination für das Funkenfeuer bleibt erhalten – auch ohne überholte, frauenfeindliche Symbole. Andere Regionen haben bereits alternative Formen gefunden: Schneebälle oder neutrale Zeichen für den Winter oder der Funken als positives Symbol für den Frühling, indem negative Erlebnisse symbolisch verbrannt oder Hoffnungen gestärkt werden. Gerade weil der Funken ein kraftvolles und identitätsstiftendes Brauchtum ist, sollte er mit der Zeit gehen. Das bedeutet nicht, ihn seiner Bedeutung zu berauben, sondern ihn in eine Form zu bringen, die mit den heutigen gesellschaftlichen Werten vereinbar ist. Traditionen sollten das widerspiegeln, was wir leben wollen.
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Lässer Jedes Brauchtum unterliegt ständigen Veränderungen. Was vor 100 Jahren praktikabel oder passend war, kann heute fehl am Platz sein oder ist nicht mehr zeitgemäß. Die Implementierung neuer Ideen bei der Brauchtumspflege geht allerdings oftmals auch mit einer öffentlichen Mobilisierung und einer negativen Darstellungsform einher. Wichtig ist hierbei aber immer, dass die Veränderung im Einklang mit den historischen Werten und der Geschichte steht, damit es nicht nur oberflächliche Anpassungen sind und das Brauchtum in seiner Tiefe und Bedeutung erhalten bleibt. Vor allem brauchen Veränderungen eine gewisse Zeit, sodass sich die Menschen, die darin eine Identifikation sehen, auch im Kollektiv damit auseinandersetzen können.
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Welche Rolle hat der Funken aus Ihrer Sicht in unserer Gesellschaft und wie soll diese künftig aussehen?
Pitscheider Soraperra Der Funken stärkt die Gemeinschaft und feiert den Übergang in eine neue Jahreszeit. In einer Zeit, in der viele Traditionen an Bedeutung verlieren, kann er eine verbindende Rolle spielen – vorausgesetzt, er löst sich von belastenden Elementen, die Gewalt oder Diskriminierung widerspiegeln. Ein Funken, der für Erneuerung, Zusammenhalt und Freude steht, bleibt auch für kommende Generationen relevant. Wer Bräuche bewahren will, muss sie weiterentwickeln, denn Stillstand bedeutet Bedeutungsverlust. Es ist eine Chance, aus einem kontroversen Brauch ein modernes, inklusives Fest zu machen, das niemanden ausgrenzt oder verletzt. So kann der Funken nicht nur bestehen, sondern eine echte Bereicherung für unsere Zeit sein.
Lässer Gerade der Funken ist in Vorarlberg längst zum Landesbrauch avanciert, der sich jährlich in allen Regionen des Landes großer Beliebtheit erfreut. Der Feuerbrauch selbst ist ein Ereignis, das schon längst wissenschaftlich – so auch sein Ursprung weit in der Geschichte zurück – mehrfach aufbereitet wurde. Brauchtümer sind verbindende Ereignisse für die Gesellschaft sowie ein wichtiger Grundstein in jeder Ortschaft. Man könnte in unserer Gesellschaft, die immer mehr von sozialen Medien, sozialem Ungleichgewicht und technologischem Fortschritt geprägt ist, den Feuerbrauch auch als ein lebendiges Zeugnis früherer Generationen sehen. In der Gegenwart ist der sprichwörtliche „zündende Funke“ mit viel Freizeit und Engagement von Klein bis Groß und dem Beginn von etwas „Neuem“ behaftet. Neue Ausdrucksformen im Rahmen des bewährten Landesbrauchs finden sich sehr wohl – dazu zählt auch das Anbringen einer anderen Figur anstelle einer Hexe zur Unterstreichung der Symbolik – entscheiden.