Ordnung ist relativ
Manche Menschen halten Ordnung. Das ist kein Scherz. Sie finden immer alles. Ihre Kugelschreiber liegen in der linken Schreibtischschublade, streng nach Farben geordnet. Ein schwarzer Kugelschreiber, der sich zu den blauen verirrt, bekommt vermutlich einen Klaps oder muss zur Strafe eine Stunde bei den Bleistiften verbringen. Wenn so jemand stirbt, hat er eine Inventarliste vorbereitet, und sein Haus ist im Handumdrehen besenrein. Bei mir dauerte das etwas länger.
Mein Wirkungskreis beschränkt sich mittlerweile auf die zwölf Schubladen meines Schreibtisches. Der Rest der Wohnung gehorcht der Logik der Hausherrin. Sind zwölf Schubladen viel? Anfangs ja. Wenn sie noch leer sind, wirkt der Platz unerschöpflich. Krisenhaft wird es, wenn sich die ersten Schubladen nicht mehr herausziehen lassen, weil sich darin ein Gegenstand verheddert hat. Meine Faustregel besagt: Wenn mehr als die Hälfte der Schubladen klemmt, räume ich auf.
Was dann passiert, können ordnungsliebende Menschen kaum nachvollziehen: Das überraschende Auftauchen von Gegenständen, die man lange nicht mehr gesehen hat. Das verloren geglaubte Taschenmesser, der Zirkel aus Schulzeiten, Briefe mit vergilbten Blütenblättern, Essstäbchen – es ist ein Fest. Ordnungsliebende Menschen wissen gar nicht, was sie verpassen.
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