Vorarlberger Politiker sind anders

Gemeindevertretungsmitglieder folgen stärker ihrer Überzeugung als in den übrigen Ländern.
SCHWARZACH. Zu Gemeindewahlen hierzulande gibt es ein eigenes Buch. Und zwar ein stattliches: Es trägt den Titel „Kommunalwahlen in Vorarlberg 1950-2020“, hat 342 Seiten und ist vom Mellauer Politikwissenschaftler Marcelo Jenny gerade mitherausgegeben worden.

Der Umfang hat sich locker ergeben. Politiker in Vorarlberg ticken zum Beispiel anders als in den übrigen Bundesländern. „Die Konsensorientierung ist groß“, sagt Jenny, „wenn ihnen etwas wichtig ist, stimmen sie jedoch so ab, wie es ihrer persönlichen Überzeugung entspricht.“
Festgestellt worden ist das bei einer österreichweiten Befragung, von der Jennys Kollegin Carmen Walenta-Bergmann berichtet. Im Vergleich mit Gemeinderats- bzw. Gemeindevertretungsmitgliedern im Osten erklären hierzulande sehr viele von ihnen, dass sie in Konfliktsituationen ihrer eigenen Meinung und nicht der Linie ihrer Fraktion oder auch Wählerschaft folgen.
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Genauer: In Vorarlberg ist im Falle des Falles für 78 Prozent die eigene Meinung maßgebend. In der Steiermark ist sie es hingegen nur für 55 und im Burgenland überhaupt nur für 50 Prozent. Den Vorstellungen der eigenen Fraktion wiederum unterwerfen sich hierzulande gerade einmal sechs Prozent. In Kärnten, dem Burgenland, Niederösterreich und der Steiermark tun das hingegen mit 25 bis 28 Prozent gut vier, fünf Mal mehr.
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An der Wählerschaft richten sich in Konfliktsituationen 16 Prozent der Vorarlberger Gemeindevertretungsmitglieder aus. Davon abzuleiten, dass ihnen diese egal sei, wäre jedoch falsch: 68 Prozent der Mandatare betonen, dass ihnen öffentliche Diskussionen vor Entscheidungen sehr oder äußerst wichtig sind. Das ist der höchste Anteil vom Boden- bis zum Neusiedlersee.
Auch bei Gemeindewahlen selbst gibt es in Vorarlberg Besonderheiten. Zum Bespiel, dass relativ häufig kein Parteienwettbewerb existiert, sondern überhaupt eine sogenannte Einheitsliste besteht. Oder, dass der Anteil ungültiger Stimmen „beachtlich“ ist, wie es Jenny nüchtern formuliert: Bei den Urnengängen der vergangenen Jahre belief er sich landesweit auf 4,6 bis acht Prozent. Bei Landtagswahlen liegt er im Unterschied dazu meist unter einem Prozent. Mit Erklärungen ist Jenny vorsichtig. Als ein verbreitetes Motiv, ungültig zu wählen, gilt jedoch ein Mangel an Auswahlmöglichkeiten.
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Extrem niedrig ist in Vorarlberg die Beteiligung bei Gemeindewahlen. In Niederösterreich belief sie sich im Jänner auf 69 Prozent. Hierzulande, wo am 16. März wieder gewählt wird, betrug sie 2020 nur noch 53,4 Prozent. Über die Gründe wird spekuliert, wahrscheinlich sind sie zahlreich. Laut Jenny hat es jedenfalls auch damit zu tun, dass der Anteil der EU-Bürger, die im Land leben, sehr hoch ist im Bundesländervergleich: Sie dürfen ebenfalls an Kommunalwahlen teilnehmen, tun würden es jedoch nur „sehr wenige“ (Jenny).