Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Kolumne: Ewige Ungnade

Vorarlberg / 30.04.2025 • 08:30 Uhr

Frau und Mann waren sehr verliebt und heirateten, ohne lange nachzudenken. Er liebte ihre Grübchen. Sie wohnten am Stadtrand, wo es noch billig war, in einem Haus mit Garten. Beide waren berufstätig in der gleichen Firma, also sahen sie sich oft. Dann am Abend kochten sie gemeinsam, aßen und legten sich schlafen. So ging das ein Jahr. Die Frau wurde schwanger, und sie brachte ein Mädchen zur Welt, nach gut einem Jahr wieder ein Mädchen, und so in einem fort, bis es sechs waren. Sechs Mädchen. Die Eheleute hatten keine Zeit mehr für die Liebe. Die Frau war sehr dick geworden, das ist wegen dem Kinderkriegen, sagte sie zum Mann. Er fühlte sich schuldig.

Die Ehe erkaltete, die Frau hatte viel zu tun mit den Babys, den Kleinkindern, dem Garten, dem Waschen, dem Kochen, so dass zwischen den Eheleuten der Kontakt abbrach. Saßen sie mit den zappelnden Kindern am Tisch, war der Mann der erste, der aufstand und das Haus verließ. Es gab in der Firma eine Frau, die ihm gefiel, ein heimliches Verhältnis begann, und bald wurde auch diese Frau schwanger. 

„Muss das Kind denn von mir sein?“, zweifelte der Mann. „Andere sind auch hinter dir her.“

Das Leben des Mannes geriet aus den Fugen. Er arbeitete, pendelte von der Frau mit dem einen Kind zu der Angetrauten mit den sechs Mädchen.

Die Geliebte verlangte die Scheidung, er solle zu ihr ziehen, das wiederum kam für den Mann nicht infrage. Sechs unmündige Kinder zu verlassen, schien ihm grausam, an die Frau dachte er gar nicht. Sie war so unförmig geworden, es tat ihm weh, sie anzuschauen. Er liebte ein Mädchen ganz besonders, es war inzwischen ein Schulkind. Sie war die Schönste und die Klügste, und sie liebte auch den Vater, der ihr immer wieder heimlich Geschenke unter ihr Kissen legte. Kettchen und Armbänder, was bei den Schwestern für Unfrieden sorgte und die Mutter erzürnte.

Der Sohn der Geliebten war auch ein hübscher Kerl, der mit dem Vater kleine Faustkämpfe machte, wenn er wieder einmal da war.

Es geschah, dass die Geliebte in das Haus der Ehefrau fuhr, den Buben an der Hand, der dem Vater ähnlich sah, die Nase und die Augenfarbe, und ihr sagte, was der Fall war.

Die Ehefrau geriet außer sich. Es war zu befürchten, dass sie verrückt würde. Das vom Vater verwöhnte Mädchen fürchtete sich vor ihrer Mutter. Wann immer sie das Kind sah, wurde sie gewalttätig, holte aus, aber geschlagen hatte sie noch nicht. Die beiden Eheleute sind inzwischen alt, immer noch beieinander, die Frau hat ihrem Mann nie verziehen. Oft hatte er sich vor ihr auf den Boden geworfen und um Verzeihung gebeten. Er wurde nicht erhört.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.