Großes Aufbäumen auf Hochreute: “Es ist brutal, wenn du zusehen musst, wie das Lebenswerk wegbricht”

Vorarlberg / 21.05.2025 • 15:30 Uhr
Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
Friedl Matt (85) mit Schwiegertochter Caroline (55). VN/Rhomberg

Hörbranzer pflanzen 1500 Bäume auf dem Problemhang. Nächste Woche geht es weiter.

Hörbranz Friedl Matt (85) hat noch alles genau vor Augen. “Hier heroben war der Sitz. Das war eine Wiese von über einem Hektar”, erzählt der Hörbranzer und zeichnet dabei mit dem Finger das Gebiet nach. Denn mittlerweile existiert der Sitz nur noch in seinen Erinnerungen. Statt einer Wiese befindet sich hier jetzt eine Baustraße.

Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
Dutzende Hörbranzer im Pflanzeinsatz.

Friedl Matt ist auf dem Hof an der Hochreute aufgewachsen, der durch den Hangrutsch vor zwei Jahren komplett zerstört wurde. Auch die kleine Kapelle, die der heute 85-Jährige auf Wunsch seiner Mutter gemeinsam mit seinen Geschwistern 1963 erneuert hat, wurde peu à peu fortgeschwemmt. “Es war einer der wenigen Höfe, der arrondiert war”, merkt er an. Insgesamt zehn Hektar Wald und Felder lagen gebündelt um den Hof herum, alles an einem Stück. Heute ist Friedl Matt da, um bei der Aufforstung des Hangs mitzuhelfen.

Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
Die Leiblachtaler Schalmeien in Aktion. “Wir wollen etwas Gutes für die Anwohner tun”, unterstreicht Obmann Michael Weißenböck.

Der Hang ist Ende April 2023 ins Rutschen geraten. Fünf Hektar Wald hinter dem Hof der Matts wurden dadurch ruiniert. Seither klafft an der Hochreute eine weithin sichtbare große braune Wunde. Am Dienstagabend lud die Gemeinde zum gemeinsamen Aufforsten mit der Bevölkerung. “Es waren so viele Anfragen da, dass wir die Aktion nächste Woche wiederholen”, berichtet Bürgermeister Andreas Kresser.

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Ringer-Obmann Norbert Ratz. “Es gibt eigentlich kein besseres Zeichen für Zusammenhalt und Unterstützung.”

Dietmar Birkel ist mit Tochter Xenia (12) gekommen. “Wir sehen den Hang jeden Tag. Ich fand das Aufbäumen eine coole Idee und hoffe, dass der braune Fleck dadurch ein bisschen schneller grün wird. Derzeit schaut es aus wie in einem Steinbruch”, sagt Birkel. Ein paar Meter weiter macht sich Norbert Ratz, der Obmann des Ringervereins, zu schaffen. Auch er hat den Hang praktisch vor der Haustür. Auch er möchte mit der Teilnahme an der Wiederaufforstung einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. “Es gibt eigentlich kein besseres Zeichen für Zusammenhalt und Unterstützung. In der heutigen Zeit ist das leider nicht mehr so selbstverständlich. Ich sehe von meinem Haus direkt hier herauf. Man hat in den Katastrophentagen hautnah miterleben müssen, was die Betroffenen mitmachen. Es ist brutal, wenn du zusehen musst, wie das Lebenswerk wegbricht”, schildert er.

Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
Resi Matt, die Schwägerin von Friedl Matt, hat durch den Hangrutsch ihr Zuhause verloren.

In den letzten zwei Jahren wurden in die Rutschung Hochreute knapp 3,8 Millionen Euro investiert. “4,6 Millionen Euro wurden veranschlagt, 800.000 Euro davon haben wir noch übrig”, rechnet Thomas Frandl von der Wildbach- und Lawinenverbauung vor. Für den zweiten Rutschungsarm in Richtung Eplisgehrbach haben Bund, Land und Gemeinde weitere 3,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
1500 Bäumchen wurden am Dienstag gepflanzt.

In der schlimmsten Phase hat sich der Hang bis zu 13 Meter am Tag bewegt. Derzeit seien bis auf eine Ausnahme alle Messpunkte ruhig, erläutert Landesgeologe Samuel Rothmund. “Der Arm in Richtung Eplisgehrbach bewegt sich immer noch fünf bis sechs Zentimeter pro Monat, aber da kann man im Moment nichts machen und unten ist auch nichts gefährdet. Es ist wie ein Gletscher, der sich ganz langsam hinunterschiebt.”

Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
Vor dem Pflanzen gab es Informationen von den Experten.

Insgesamt stehen an diesem Dienstag 1500 Jungbäume, Stecklinge und Sträucher bereit. Der Hang soll damit langfristig stabilisiert werden. “Immer zehn Stück pro Baumart in einem Trupp pflanzen, möglichst gerade und immer zwei Stillängen voneinander entfernt. Wichtig ist, dass man am Schluss alles fest andrückt und dass es eine Mulde gibt, damit sich Wasser sammelt. Qualität geht vor Quantität”, gibt Christian Natter vom Landesforstdienst die Marschrichtung vor. Auch Waldverein-Geschäftsführerin Sylvia Rickmann ist voller Tatendrang. “Wir haben jetzt zwei Jahre verfolgt, was hier passiert und waren so hilflos. Jetzt kann man endlich etwas tun”, unterstreicht sie.

Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
Durch die Wiederaufforstung soll der Hang langfristig stabilisiert werden.
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Thomas Frandl von der Wildbach- und Lawinenverbauung, Landesgeologe Samuel Rothmund und Bürgermeister Andreas Kresser.
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Die Baustraße wurde vergangenen Sommer errichtet.
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Der Blick von der Baustraße ins Tal.
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Christian Natter vom Landesforstdienst zeigt wie’s geht.
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Unter anderem wurden Weißkiefer und Tannen gepflanzt.
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Alle hoffen, dass der Hang bald wieder grüner ist.
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Vor dem Pflanzen lieferten die Experten Fakten. “Wir befinden uns in der Molasse, das ist der Abtragungsschutt der sich aufbäumenden Alpen”, erläutert Landesgeologe Samuel Rothmund. 17 bis 14 Millionen Jahre später, Ende April 2023, ist eine der hangparallelen Klüfte, die in den insgesamt 18 Eiszeiten entstanden sind, auf 50 Meter Höhe durchgerissen. “Dadurch hat sich eine Felsgleitung ergeben. Was man damals nicht gewusst hat, ist, dass die Siedlung Hochreute auf einer alten Rutschungsmasse liegt. Durch die Auflast ist der gesamte Hang unten angeschoben worden”, führt Rothmund weiter aus.
Wiederaufforstung nach Hangrutsch in Hochreute, Hörbranz
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