Kommentar: Im Atelier
Die Künstlerin lag in ihrem Atelier auf dem Boden, unter sich eine riesige Leinwand. Liegend deshalb, weil sie ganz oben anfangen wollte, ohne Rand. Sie malte mit Ölkreide, griff blind in die Schachtel und verwendete, was sie gerade in der Hand hielt. Sie hatte die Augen halb geschlossen und malte ohne zu denken Formen, wie es so kam. Im ganzen Bild sollte es keinen Rand geben. Sie malte klein und wenn sie größer wurde, musste sie in Wölbungen hineinmalen, so dass der Eindruck entstand, hier gebe es dahinter gar keine Leinwand, als sei alles, was sie malte, in der Luft. Sie malte den ganzen Vormittag ohne aufzustehen, und als sie dann Schmerzen in ihren Knien spürte, kroch sie aus der Leinwand auf den Boden. Erst wollte sie das Bild vor sich aufstellen, dann zog sie es halb an die Wand, ließ es aber gleich wieder fallen. Sie dachte, das widerspricht meinem Konzept, ich darf es erst anschauen, wenn das letzte Zipfelchen in der Luft schwebt. Dann ließ sie die Leinwand wieder sinken und malte weiter. Sie malte bis in die Nacht hinein, mit Unterbrechung, Cola trinken, Brot essen. Als es vor den Fenstern dunkel wurde, kroch sie auf das Sofa, war zu erschöpft, um es abzuräumen, legte sich also auf Bücher und Skizzen und schlief sofort ein.
Sie wachte auf, weil sie fror, suchte eine Decke, legte sich wieder hin und starrte nach oben.
Sie stellte sich vor, wie es wäre, mit einem Teppichmesser das Bild wahllos zu zerschneiden, um es dann wieder zusammenzufügen, ohne Hintergrund. Es könnte sein, dass sich Muster ergeben, die wie Gesichter aussahen, so wie sie oft in den Himmel blickte und Figuren in Wolken sah. Sie überlegte, wo sie das Teppichmesser aufbewahrte. Sollte sie in der Nacht noch aufstehen. Es ließ ihr keine Ruhe. Sie fand das Teppichmesser, und bald schon schnitt sie sich tief in die Handfläche. Sie blutete sehr stark und ließ das Blut auf die Leinwand rinnen. Sie verbot es sich, zu verschmieren, hielt nur an einem Ende die Leinwand etwas schräg, damit das Blut rinnen konnte. Es gefiel ihr nicht schlecht, wie sich das Blut den Weg bahnte. Es führte in eine Schleife, die wie ein Stück Bauch aussah. Dort stoppte sie es mit einem Fetzen. Sie ließ den Fetzen liegen, der klebte und sie dachte, vielleicht wäre es eine gute Idee, Fetzen in das Bild einzubauen, so dass es zu einem Materialbild würde. Ihre Hand blutete stark, und das Blut war kaum zu stoppen. Alle Fetzen, die sie fand band sie um die Hand. Morgen könnten sie dann wiederverwertet werden. An Einschlafen war nicht zu denken.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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