“Das bisherige Auseinanderdividieren der Religionen hat an Plausibilität verloren”

Vorarlberg / HEUTE • 15:00 Uhr
Annamaria Ferchl Blum, Ruth Berger Holzknecht
Statt konfessioneller Trennung steht im neuen Modell “Religion und Religionen” der Dialog zwischen Glaubensrichtungen im Mittelpunkt, erklären Annamaria Ferchl-Blum (l.) und Ruth Berger-Holzknecht (r.). VN/MIH

Mit dem Projektnamen ‚Religion und Religionen‘ ist zu Beginn des Schuljahres an allen Vorarlberger und Tiroler Berufsschulen ein gemeinsamer dialogisch-kooperativer Religionsunterricht von fünf Religionsgesellschaften und Kirchen eingeführt worden.

Darum geht’s:

  • Neues Modell ersetzt konfessionell getrennten Religionsunterricht.
  • Schüler verschiedener Religionen lernen gemeinsam.
  • Soll Respekt, Toleranz und demokratische Haltung fördern.

Feldkirch In den acht Vorarlberger Berufsschulen beginnt mit Schulstart ein neues Kapitel im Religionsunterricht: Der klassische, konfessionell getrennte Unterricht wird durch ein kooperatives Modell ersetzt, in dem Schülerinnen und Schüler verschiedener Glaubensrichtungen gemeinsam unterrichtet werden. Beteiligte Kirchen und Religionsgemeinschaften sind die katholische, evangelische, altkatholische, neuapostolische und die alevitische.

Ziel des Projekts ist es, die Vielfalt in den Klassenräumen sichtbar zu machen, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ebenso wie für die persönliche Orientierung, betonen Annamaria Ferchl-Blum, Schulamtsleiterin der Diözese Feldkirch, und die zuständige Fachinspektorin Ruth Berger-Holzknecht im Gespräch mit den VN.

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“Der klassisch-konfessionelle Religionsunterricht geht davon aus, dass die Mehrheit der Schüler katholisch ist, was aber längst nicht mehr der Wirklichkeit entspricht”, erklärt Ferchl-Blum. In den Berufsschulen sei die religiöse Landschaft besonders plural: “Es gibt Klassen, in denen acht bis neun Religionen vertreten sind. Das ist Realität, kein theoretisches Konstrukt.”

RuR – Religion und Religionen

Mit dem Projektnamen ‚Religion und Religionen‘ ist zu Beginn des Schuljahres 2025/26 an allen Tiroler und Vorarlberger Berufsschulen ein gemeinsamer dialogisch-kooperativer Religionsunterricht von fünf Religionsgesellschaften und Kirchen eingeführt worden:

  • Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich
  • Altkatholische Kirche Österreichs
  • Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses
  • Katholische Kirche
  • Neuapostolische Kirche in Österreich

Laut Landestatistik besuchen rund 6000 Jugendliche eine Berufsschule in Vorarlberg. Im vergangenen Schuljahr unterrichteten rund 30 Lehrpersonen das Fach “katholische Religion”. “Gerade die Berufsschule ist ein Ort, an dem junge Menschen sich mit den großen Fragen des Lebens auseinandersetzen wollen, sie schätzen dieses Fach”, so Ferchl-Blum.

"Das bisherige Auseinanderdividieren der Religionen hat an Plausibilität verloren"
An der LBS Bregenz 1 gibt es bereits einen Modellversuch des kooperativen Religionsunterrichts. Die katholische Pädagogin Christine Fischer-Kaizler und der islamische Lehrer Selim Kavas unterrichteten zusammen. VN/Paulitsch

Kooperation statt Trennung

Das neue Modell trägt den Namen “RuR – Religion und Religionen” und wurde gemeinsam mit Tirol entwickelt. Federführend in Vorarlberg ist Fachinspektorin Ruth Berger-Holzknecht: “Uns war wichtig, dass nicht die katholische Kirche allein etwas startet und die anderen dazukommen, sondern dass wir es von Anfang an gemeinsam machen”, betont sie.

Zusammen mit den Religionsgemeinschaften wurde eine Handreichung erarbeitet, die sich am Lehrplan für Religion orientiert. Dort werden zentrale Themen aus den Perspektiven der jeweiligen Religionen beleuchtet. “So kann ein Thema wie Gemeinschaft von einer alevitischen Schülerin ebenso behandelt werden wie von einem katholischen oder freikirchlichen Schüler”, sagt Ferchl-Blum.

Kein Teamteaching – aber individueller Zugang

Der Unterricht wird nicht im Teamteaching abgehalten. Eine Lehrperson übernimmt die Klasse, bereitet den Unterricht aber religionssensibel vor. “Die Lehrperson weiß, welche Religionen in der Klasse vertreten sind und bereitet dementsprechend Materialien vor”, erklärt Berger-Holzknecht. Unterstützung kommt in Form von Fortbildungen, digitalen Materialien und einer eigenen Homepage.

“Die Jugendlichen lernen dabei nicht nur ihre eigene Religion besser kennen, sondern auch die Perspektiven der anderen. Das fördert Respekt, Toleranz und letztlich auch demokratische Haltung”, so Berger-Holzknecht.

Religionsunterricht in Vorarlberg

Laut der Statistik des Landes Vorarlberg besuchten im Schuljahr 2023/2024 6194 Personen eine der acht Berufsschulen in Vorarlberg.

30 Lehrpersonen haben im vergangenen Schuljahr das Fach “katholische Religion” unterrichtet.

Jugendliche interessieren sich für Religion

Tatsächlich zeigen Studien, dass das Interesse junger Menschen an Religion wieder steigt. Die aktuelle Untersuchung “Was glaubt Österreich?” der Universität Wien zeigt: Jugendliche sind religiöser als frühere Generationen, aber entspannter im Umgang damit. Sie streben nach spiritueller Orientierung und sind offen gegenüber unterschiedlichen Ausdrucksformen von Religiosität.

Diese Offenheit soll der neue Unterricht aufgreifen. Das Modell soll laufend evaluiert werden. Auch eine Ausweitung auf weitere Schultypen wäre in Zukunft denkbar. Für Ferchl-Blum ist das Projekt jedenfalls ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung: “Das bisherige Auseinanderdividieren der Religionen hat an Plausibilität verloren. Wir brauchen Prototypen des Neuen.”

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