“Wir haben sie berührt”

Trainerin Liba Selner begleitet das Tanzhaus Hohenems zur Gymnaestrada nach Helsinki.
hohenems. (VN-hrj) Sie ist ein Flüchtling. Mit Ehemann Ivo und der sechsjährigen Tochter Petra floh Libuse „Liba“ Selner 1985 aus der damaligen Tschechoslowakei, um dem kommunistischen Regime zu entkommen. Über das ehemalige Jugoslawien erreichte die Familie Österreich und landete im Auffanglager Traiskirchen. Nach einem Jahr Bundesbetreuung wurden die Selners als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt und zogen nach Gmunden.
Liba Selner hat in der Tschechoslowakei die Montanistische Universität und eine Tanzausbildung am Konservatorium absolviert. Ihr Mann Ivo studierte Pädagogik und Psychologie. In Österreich arbeitete Liba anfangs als Reinigungskraft, ihr Mann als Schlosser. Er bekam 1990 eine Stelle als Betreuer bei der Lebenshilfe Vorarlberg. „Ich folgte ihm mit den Kindern ein halbes Jahr später nach Vorarlberg“, erzählt Liba. Petra und der in Österreich geborene Sohn Christoph sollten das Schuljahr in Gmunden beenden.
Auch Liba wurde aufgrund ihrer Erfahrung mit Menschen mit Behinderung bei der Lebenshilfe angestellt. In Oberösterreich hatte sie eine Rollstuhltanzgruppe geleitet und bewegungsanalytische Therapie durchgeführt.
Die Geschichte mit dem Tanzhaus Hohenems begann 2007, als Liba Selner die Autorin des Buches „Das Leben ist schön“, Simone Fürnschuss-Hofer, kennenlernte. „Sie bat mich um eine Tanzaufführung mit behinderten Jugendlichen und Erwachsenen bei ihrer Buchpräsentation.“ Gerne mache sie das, sei Libas Antwort gewesen. „Ich gab Simone Fürnschuss-Hofer aber zu verstehen, dass ich eine Durchmischung von Menschen mit und ohne Behinderung will.“ Die Autorin war einverstanden. Worauf Liba Selner mit der Tanzpädagogin Brita Hafner zusammenkam. Hafner war bereit, mit ihrer Jazztanzgruppe der Turnerschaft Hohenems dieses Projekt auszuprobieren.
Die erste Begegnung zwischen den Tänzern mit und ohne Behinderung beschreibt Selner als „fröhlich und unbeschwert, so außergewöhnlich normal“. Berührungsängste habe es nicht gegeben, „denn die Begegnung hat beim Tanz, also in Bewegung und Freude, stattgefunden.“
2008 wurde die erste Aufführung präsentiert. „Wir bemerkten, dass viele Zuschauer Tränen in den Augen hatten. Wir haben sie berührt“, erinnert sich die Tanztrainerin. „Da wurden Saiten in den Herzen angezupft, die normalerweise stillgelegt sind.“
Etwa drei Monate später beschlossen Liba Selner und Brita Hafner, weiterzumachen und das Tanzhaus Hohenems als Gemeinschaftsprojekt von Lebenshilfe Vorarlberg und Turnerschaft Hohenems zu gründen. Seitdem leiten die beiden Frauen das Tanzhaus Hohenems und trainieren die Tänzer im Zweigespann.
Wunderbare Sachen
Heute besteht die Gruppe aus über 40 Tänzern mit und ohne Behinderung. Natürlich verlangt Liba Präzision und Form beim Tanz: „Aber wir lassen zu, dass es anders kommen kann. Es gibt immer jemanden, der aus der Reihe tanzt.“ Es gehe nicht um Leistung und Perfektion, sondern um Freude und Beziehung im Tanz. Liba schildert das so: „Da treffen sich zwei Körper, und es entstehen ganz wunderbare Sachen.“ Sie vergleicht das Tanzhaus mit einer bunten Wiese: „Wir lassen es zu, dass wächst, was wachsen will, obwohl wir ab und zu auch einen Schnitt machen.“ Alle bisherigen Tanzshows feierten große Erfolge: „Ich Du Wir“, „Träume“, „Alles bleibt anders“ mit Schellinsky, zuletzt „Pictures“ in der Messehalle. Am Sonntag fand die letzte Probe für „Pictures“ statt. Die Show führen die Tänzer im August bei der Gymnaestrada in Helsinki auf. „Darauf freuen wir uns riesig“, sagt Liba Selner. In Helsinki, wisse sie, „wird alles anders sein als in Dornbirn. Aber das soll geschehen. Wichtig ist uns, etwas in den Herzen der Menschen zu berühren.“
Es gibt immer jemanden, der aus der Reihe tanzt.
Liba Selner
Zur Person
Libuse Selner
trainiert die Tänzer des Tanzhaus Hohenems.
Geboren: 18. April 1956
Wohnort: Feldkirch
Beruf: Tanztrainerin, Sozialarbeiterin bei der Lebenshilfe
Familie: verheiratet mit Ivo, Tochter Petra, Sohn Christoph