Wenn Tote Leben retten

Oft haben Kranke nur eine Überlebenschance: Die Organtransplantation.
SCHWARZACH. „Nierenversagen“ lautete die 2005 gestellte Diagnose. Seitdem musste Rudolf Kern (72) dreimal pro Woche zur Blutwäsche in die Dialysestation in Bregenz. Fünf Jahre lang stand er auf der Liste der Organempfänger. Fünf Jahre lang hatte er sein Handy immer eingeschaltet bei sich, wartete, hoffte. Am 31. März 2010 um halb zwei Uhr nachmittags kam der ersehnte Anruf: „Ein passendes Organ sei in der Innsbrucker Klinik eingetroffen, wurde mir mitgeteilt.“ Im LKH Feldkirch bereitete man ihn zur Transplantation vor und transportierte ihn anschließend mit der Rettung nach Innsbruck. In der gleichen Nacht noch wurde ihm die Niere eines Verstorbenen eingepflanzt. Das Organ begann sofort zu arbeiten, brauchte nie Unterstützung durch die Dialyse. „Es fühlt sich gut an, wenn alles im Körper funktioniert“, sagt Rudolf Kern.
Für den pensionierten Steinmetz war die Transplantation der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Er muss nur noch einmal jährlich zur Kontrolle ins LKH Feldkirch. Die Medikamenteneinnahme wurde von 36 Tabletten täglich auf elf reduziert. Viel Zeit verbringt er nun mit Ehefrau Rosmarie in seinem Schrebergarten an der Bregenzerach.
Laut der Transplantationschirurgie der Universitätsklinik Innsbruck warten in Vorarlberg derzeit 47 Patienten auf eine Niere, fünf auf eine Leber und vier auf eine Lunge. Für eine Herztransplantation steht momentan niemand auf der Liste. „Pro Jahr werden 15 bis 20 Patienten aus Vorarlberg nierentransplantiert“, informiert Dr. Karl Lhotta, Facharzt für Innere Medizin und Leiter der Abteilung Nephrologie und Dialyse am LKH Feldkirch. Zwei davon sind Lebendspenden. Die Zahl hirntoter Organspender in Vorarlberg schwankt zwischen sieben und elf pro Jahr. „In der Abteilung für Nephrologie und Dialyse betreuen wir derzeit 230 Patienten mit einem funktionierenden Transplantat. 190 Patienten benötigen eine Dialysebehandlung“, erklärt Dr. Lhotta. Die Transplantation sei für jeden Patienten ein einschneidendes Erlebnis, „der Beginn eines neuen Lebens ohne Abhängigkeit von der Dialyse mit völlig neuer Lebensqualität. Ich denke, die meisten Patienten sind überglücklich nach überstandener Operation und guter Funktion des transplantierten Organs.“ Akute Abstoßungen seien aufgrund der neuen Medikamente selten geworden. „Sollte eine auftreten, ist sie meist gut behandelbar. Wichtig ist, dass die Patienten regelmäßig zu den Kontrollen kommen.“
Persönlichkeitsveränderung?
In Deutschland und den USA durchgeführte Untersuchungen haben ergeben, dass durch Organtransplantationen die Psyche beeinflusst werden kann. Die deutsche Ethnologin Vera Kalitzkus hat in Gesprächen mit Organempfängern herausgefunden, dass einige von ihnen mit dem Organ eines fremden Menschen nur schwer zurechtkommen. Die einen würden vom Spender träumen, andere wiederum hätten das Gefühl, das fremde Organ verändere ihre Persönlichkeit. In ihrem Buch „Dein Tod, mein Leben – Warum wir Organspenden richtig finden und trotzdem davor zurückschrecken“ schildert Kalitzkus den Weg einer Organspende vom Spender zum Empfänger und was davor und danach geschieht. Unter anderem erklärt sie, wie der Hirntod festgestellt wird, wie Organe entnommen und eingesetzt werden. Der amerikanische Kardiologe Dr. Paul Pearsall hat sich mit Persönlichkeitsveränderungen nach Herztransplantationen beschäftigt. Etwa hundert Herzempfänger berichteten ihm, dass sie eine Verbindung zum Organspender fühlen. Das wirft einmal mehr die Fragen auf, ob ein Teil des Spenders im Körper des Empfängers weiterlebt. Und ob Organe tatsächlich Erinnerungen speichern können. Einige Forscher sind der Ansicht, dass es sehr wohl ein „zelluläres Erinnerungsvermögen“ gibt, das mit dem Spenderorgan mittransplantiert wird.
Als eigenes Organ akzeptiert
Für Dr. Lhotta ist es jedoch nicht vorstellbar, dass durch Zellen des Spenders die Persönlichkeit des Empfängers beeinflusst wird: „Ich habe noch nicht bemerkt, dass ein transplantiertes Organ die Persönlichkeit eines Empfängers grundlegend verändert.“
Auch Rudolf Kern hat keine derartige Erfahrung gemacht. „Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, dass meine neue Niere ein fremdes Organ ist. Ich habe sie sofort als eigenes akzeptiert.“
Es fühlt sich gut an, wenn alles im Körper funktioniert.
Rudolf Kern