Gifteinsatz vom Himmel

Wissen / 24.04.2015 • 16:14 Uhr
Im Peace Village des Krankenhauses Tu Du in Ho Chi Minh City leiden mehr als zwei Drittel der Patienten an den Folgen von Agent Orange.  REUTERS
Im Peace Village des Krankenhauses Tu Du in Ho Chi Minh City leiden mehr als zwei Drittel der Patienten an den Folgen von Agent Orange. REUTERS

Seit 40 Jahren warten vietnamesische „Agent Orange“-Opfer auf Gerechtigkeit.

HO CHI MINH CITY. Ein unförmiger Kopf mit halbgeöffneten Glubschaugen. Ein bis zum Hals zusammengewachsenes siamesisches Zwillingspaar. Winzige Körper ohne Gliedmaßen. Die deformierten Föten sind in Glasbehältern eingelegt und in einem Raum im Peace Village im Tu-Du-Krankenhauses in Ho Chi Minh City ausgestellt.

Das Peace Village ist ein Heim für Kinder, die aufgrund der Folgen von Agent Orange zur Welt gekommen sind. Die Anzahl von Totgeburten und Babys, die mit schweren Schäden wie Deformationen, Hirndefekte oder Hautkrankheiten geboren werden, ist auch jetzt noch, 40 Jahre nach Ende des Vietnamkrieges, sehr hoch.

„Operation Ranch Hand“

Während des Krieges zwischen dem kommunistisch regierten Norden und dem von den USA unterstützten Süden Vietnams (1965 bis 1975) versprühte die US-Armee im Rahmen der „Operation Ranch Hand“ massenhaft chemische Mittel – unter anderem das hochgiftige Herbizid „Agent Orange“. Ziel war es, den dichten Dschungel zu entlauben und den dort versteckten, feindlichen  Vietkong-Kämpfern durch die Vergiftung von Anpflanzungen die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Der Produzent von „Agent Orange“, die damalige Monsanto Company, hatte einen entsprechenden Vertrag mit der US-Regierung.

Forschungen zufolge waren es 80 Millionen Liter toxische Chemikalien, die von US-Armee-Flugzeugen aus über das Land versprüht wurden. Davon waren 50 Millionen Liter „Agent Orange“. Durch die hochgiftigen Mittel wurden zwei Millionen Hektar Mangroven und Wälder entlaubt, 200.000 Hektar Ernten zerstört, 3800 Dörfer direkt getroffen. Etwa ein Viertel der Fläche Südvietnams ist verseucht worden.

Zwei-Klassen-Opfer

Unter den Folgen des Giftstoffeinsatzes in Vietnam leiden Vietnamesen und US-Soldaten heute noch. Allerdings werden die Opfer unterschiedlich behandelt.

In den USA haben 2,8 Millionen US-Soldaten Anspruch auf finanzielle Unterstützung als potenzielle Agent-Orange-Opfer. Nach Angaben des Aspen-Instituts hat die US-Regierung allein im Jahr 2010 gut 16 Milliarden Dollar (damals ca. zwölf Milliarden Euro) für Vietnam-Veteranen zur Verfügung gestellt. Über die Gesamtzahlungen seit Ende des Krieges sind keine Angaben veröffentlicht worden. Zudem bekamen US-Veteranen nach einer Klage gegen die Hersteller der Chemikalien 1984 bei einer außergerichtlichen Einigung rund 200 Millionen Dollar zugesprochen.

Anders ist es in Vietnam: „In verseuchten Gebieten wie Danang gibt es immer noch sehr junge Menschen, die unter Krankheiten leiden, die mit ‚Agent Orange‘ zusammenhängen“, informiert Nguyen Van Rinh vom vietnamesischen Opferverband VAVA. Er geht von drei Millionen Vietnamesen aus, darunter 150.000 Kinder, die „Agent Orange“ ausgesetzt waren. Eine Million leidet immer noch unter den Folgen.

Klage abgeschmettert

Jahrzehnte haben die US-Behörden einen Zusammenhang zwischen „Agent Orange“ und Gesundheitsschäden in Vietnam bestritten. Eine Millionenklage vietnamesischer Opfer gegen die Chemikalienhersteller schmetterten US-Gerichte 2009 ab. Das Argument des Richters: Die Chemikalien waren zwar giftig, aber deshalb könne man nicht von „chemischer Kriegsführung“ reden, und deshalb sei internationales Recht nicht verletzt worden. 2012 wurde seitens den USA damit begonnen, verseuchte Böden zu reinigen. Finanziert wird das Projekt von der US-Entwicklungshilfe USAID.

Stichwort

„Agent Orange“ ist die militärische Bezeichnung eines chemischen Entlaubungsmittels, das die US-Armee im Vietnamkrieg einsetzte.

„Agent Orange“ enthält den Giftstoff 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin (TCDD), das ist der giftigste Vertreter der Dioxine. TCDD wirkt unter anderem fetotoxisch, schädigt also das ungeborene Kind im Mutterleib, und ist sehr persistent. Das heißt, es verbleibt lange Zeit in der Umwelt. Heute werden bereits Nachkommen in der 3. Generation mit Missbildungen geboren.

Der Name stammt von den orangefarbenen Streifen, mit denen die Fässer, in denen der Giftstoff gelagert wurde, gekennzeichnet waren. (Agent = Wirkstoff)

„Agent Orange“ wurde von der damaligen Monsanto Company produziert.