Jagd auf Geisterteilchen: Neutrinos sind überall

Wissen / 21.08.2015 • 16:07 Uhr
200 Tonnen wiegt der Hauptspektrometer des Karlsruher Tritium Neutrino Experiments, genannt Katrin. Foto: EPA
200 Tonnen wiegt der Hauptspektrometer des Karlsruher Tritium Neutrino Experiments, genannt Katrin. Foto: EPA

Deutsche Forscher werden die ultraleichten Neutrinos jetzt wiegen und bestimmen.

karlsruhe. Es ist 24 Meter lang, hat zehn Meter Durchmesser, 800 Quadratmeter Innenfläche und wiegt 200 Tonnen: Der Hauptspektrometer des Karlsruher Tritium Neutrino Experiments, genannt Katrin. Sein zylindrischer Riesentank beherbergt den größten luftleeren Raum auf der Erde. Mit seiner Hilfe wollen die Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ab dem kommenden Jahr Neutrinos dingfest machen.

Enorme Masse im All

Neutrinos sind ultraleichte Elementarteilchen, die so mühelos Materie durchdringen, dass sie kaum messbar sind, und die daher auch Geisterteilchen genannt werden. Zahllos durchströmen sie das All und durchsieben uns zu jeder Sekunde mit nahezu Lichtgeschwindigkeit, erklärt Hendrik Seitz-Moskaliuk, Physiker am KIT. Doch es bestehe keine Gefahr, versichert der 27-jährige Physiker: „Weil die Neutrinos nicht elektrisch geladen sind, gehen sie einfach durch uns hindurch.“ Deshalb lassen sich die geisterhaften Elementarteilchen trotz ihrer Unzahl auch nur schwer aufspüren.

„Neutrinos entstehen ständig von Neuem, etwa in der Sonne“, erklärt Seitz-Moskaliuk. Besonders interessieren sich die Geisterteilchenjäger für jene Neutrinos, die durch den Urknall vor mehr als 13 Milliarden Jahren erzeugt worden sind. Etwa 300 davon gebe es laut Seitz-Moskaliuk in jedem Kubikzentimeter des Universums. „Klingt wenig, aber All-weit kommt da wohl schon eine enorme Masse zusammen“, schätzt er. Zu wissen, wie groß die Masse eines einzelnen Neutrinos ist, könnte daher helfen, die großen Fragen der Astronomie zu beantworten: Wie entstand alles aus nichts? Was geschah nach dem Urknall? Wie entwickelte sich der Kosmos in seine heutige Form? Bis die etwa 200 an Katrin beteiligten Wissenschaftler aus Europa und den USA diese letzten Fragen vielleicht beantworten können, dürften allerdings noch einige Jahre ins Land gehen.

Sechs Jahre hinter Zeitplan

Noch sind die Experten mit dem Versuchsaufbau beschäftigt. Das 60-Millionen-Euro-Projekt liegt sechs Jahre hinter dem Zeitplan, und noch immer fehlen wichtige Elemente der künftig 70 Meter langen Apparatur.

Idee hinter Katrin

Der Aufwand ist gewaltig: Der titanische Vakuumtank wurde von einer Spezialfirma im bayerischen Deggendorf bei Regensburg hergestellt. Da er unter keiner Autobahnbrücke hindurchpasste, wurde er per Lastkahn über die Donau, durch das Schwarze Meer, das Mittelmeer, den Atlantik, den Ärmelkanal, die Nordsee und schließlich über den Rhein nach Leopoldshafen bei Karlsruhe verschifft. Gegenüber den 350 Kilometern Landweg sei das „ein Umweg von schlappen 8600 Kilometern“ gewesen, informiert Seitz-Moskaliuk.

Die letzten 6,8 Kilometer zum Forschungszentrum legte der silbrige Supertank indes mit dem Tieflader-Schwertransport zurück.

Die Idee hinter Katrin klingt eigentlich einfach: Die Forscher lassen radioaktives Tritium zerfallen. Dieser superschwere Wasserstoff besteht aus einem Proton und zwei Neutronen. Zerfällt dieser Kern, werden dabei ein Elektron und ein Neutrino frei. Übrig bleibt weiterhin ein Tochterkern.

Die Zerfallsenergie, die dabei entsteht, kennen die Forscher. Sie verteilt sich auf die Bewegungsenergie des Tochterkerns, die Massenenergie des Elektrons, die Bewegungsenergie des Elektrons und schließlich die Massen- und Bewegungsenergie des Neutrinos. Betrachtet man nun den Fall, dass die gesamte Bewegungsenergie beim Elektron ist und setzt diese Werte in Einsteins berühmte Formel E = mc2 ein, „dann bleibt als einzige Unbekannte die Masse des Neutrinos übrig“, sagt Seitz-Moskaliuk. Die gesamte Bewegungsenergie könne indes nur die allerschnellsten Elektronen auf sich vereinen. Und das sind eben jene, welche die 18.600 Volt Hochspannung überwinden, welche die Forscher im Spektrometer-Stahltank erzeugen. „Der Clou ist also, dass wir das Neutrino nicht wiegen, sondern die Masse nur indirekt feststellen.“

Hohe Erwartungen

Seitz-Moskaliuk und seine Kollegen werden fünf Jahre lang Elektronen durch ihren riesigen Supertank sausen lassen. Ob Katrin die hohen Erwartungen erfüllen oder schließlich gar übertreffen kann, wird das Experiment zeigen.