In kraftlosem Körper wohnt brillanter Geist

Stephen Hawking wird am Sonntag 75. Der an ALS leidende Physiker gilt als Popstar der Wissenschaft.
Cambridge. Körperlich völlig hilflos, aber der brillante Geist läuft auf Hochtouren: Stephen Hawking gehört zu den größten Wissenschaftern aller Zeiten. Am 8. Jänner wird das Genie 75 Jahre alt. Nach der Prognose seiner früheren Ärzte müsste er schon seit Jahrzehnten tot sein. Hawking leidet an der unheilbaren Muskel- und Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose).
Seit Jahrzehnten ist der Brite nahezu bewegungsunfähig. Nur mit Hilfe eines Computers kann er sich mühsam verständigen. Von Reisen rund um den Globus hält das Hawking, der in einem Rollstuhl sitzt und seit einem Luftröhrenschnitt vor etwa 30 Jahren nicht mehr sprechen kann, nicht ab. Er ist stets mit einem Stab von Mitarbeitern unterwegs.
Er bekam Aufschub
Hawking war Physikstudent, als er an ALS erkrankte. Die Krankheit schritt bei ihm sehr langsam voran. Sie war jedoch ein Wendepunkt in seinem Leben: „Plötzlich begriff ich, dass es eine Reihe wertvoller Dinge gab, die ich tun könnte, wenn mir ein Aufschub gewährt würde.“ Er bekam Aufschub – und brachte es mit großem Ehrgeiz und scharfem Verstand weit. 1979 wurde er Professor für Mathematik in Cambridge, über 30 Jahre lang hatte er dort den Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik inne.
Hawking begeisterte die Fachwelt mit seinen Theorien zum Ursprung des Kosmos und zu monströsen Schwarzen Löchern. „Ich möchte das Universum ganz und gar verstehen“, sagte er. „Ich möchte wissen, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“ Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ machte ihn bei Laien populär.
Schwarze Löcher sind keine Endstationen. Zwar saugen sie durch ihre enorme Schwerkraft alles ein, was ihnen zu nahe kommt, lassen nicht einmal das Licht entkommen. Hawking konnte aber in der Theorie zeigen, dass Schwarze Löcher langsam verdampfen – eine Folge der Quantenphysik. Weil das Verdampfen extrem lange dauert, ließ sich die entstehende Hawking-Strahlung bisher nicht nachweisen.
Bereits als Doktorand hatte Hawking 1965 zusammen mit dem Briten Roger Penrose einen wichtigen mathematischen Beleg für die Urknalltheorie geliefert. Die Idee vom Urknall war damals noch umstritten, unter anderem weil in ihm die Naturgesetze nicht mehr gelten und so eine Art Schöpfungsakt notwendig zu werden schien.
Hawking beschäftigte sich mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und konnte zeigen, dass sie einen Anfang des Universums voraussagte – „ein Ergebnis, das die Kirche interessiert zur Kenntnis nahm“, wie Hawking in seiner Autobiografie „Meine kurze Geschichte“ schrieb. Später betonte er jedoch, dass der Anfang des Universums nicht zwangsläufig in einer sogenannten Singularität gelegen haben muss.
Behindertes Genie
Nicht nur seine Theorien machten Hawing berühmt. Er selbst argwöhnte, dass da noch etwas anderes dahinterstecken könnte: „Ich bin der Archetypus eines behinderten Genies“, sagte er. „Die Menschen sind fasziniert vom Gegensatz zwischen meinen extrem eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten und den gewaltigen Ausmaßen des Universums, mit dem ich mich beschäftige.“
Hawking ist eine Art Popstar der Wissenschaft und schreckt auch nicht davor zurück, zu populären Themen wie Zeitreisen und Außerirdischen Stellung zu nehmen. In den vergangenen Jahren scheint er eine Wandlung durchzumachen, tritt oft als Mahner auf. Intelligente Roboter, Klimaerwärmung, Atomkrieg und durch Gentechnik hergestellte Viren könnten die Erde gefährden, warnt er. Seine Botschaft: Für den Fall, dass es zu einer hausgemachten Katastrophe kommt, müsse sich die Menschheit Ausweichmöglichkeiten im All schaffen.