Atomzeitalter begann auf dem Squashplatz

Wissen / 08.12.2017 • 08:13 Uhr
Kernphysiker Enrico Fermi war später auch am Bau der Atombombe beteiligt. dpa
Kernphysiker Enrico Fermi war später auch am Bau der Atombombe beteiligt. dpa

Vor 75 Jahren gelang die nukleare Kettenreaktion.

Chicago Das Experiment war so riskant, dass Enrico Fermi noch nicht einmal Universitätspräsident Robert Hutchins vorher darüber informierte. Auf einem Squashplatz unter den Tribünen des Stadions der University of Chicago baute der italo-amerikanische Physiker Fermi abgeschirmt von Steinquadern den ersten Atommeiler und löste damit vor 75 Jahren die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion aus.

Knapp drei Dutzend Forscher wurden Zeugen, darunter der Physiker Samuel Allison. „Alle von uns wussten, dass mit dem Anbruch der Kettenreaktion die Welt nie wieder dieselbe sein würde“, schrieb er später. Heute erinnert Henry Moores Statue „Nuclear Energy“ an der Stelle in Chicago, wo einst Fermis erster Meiler stand, an das historische Ereignis, das den Beginn des Atomzeitalters markierte.

Wenn das Experiment schiefgegangen wäre, wäre wohl ein großer Teil Chicagos verstrahlt worden. Als Sicherheitsvorkehrung standen nur ein paar Wissenschaftler mit einer Axt und Eimern voller Kadmiumsulfat bereit. „Rennt so schnell ihr könnt hinter einen großen Berg viele Meilen entfernt“, hatte Fermi seinen Kollegen halb im Scherz als Notfallparole mit auf den Weg gegeben. Aber das Experiment am 2. Dezember 1942 klappte und der „Chicago Pile“ produzierte Energie – allerdings so wenig, dass man davon noch nicht einmal eine einzige Glühbirne hätte leuchten lassen können. Trotzdem morsten die Forscher stolz nach Washington: „Der italienische Entdecker ist gerade in der neuen Welt gelandet. Alle sind gesund und froh.“

Fermi hatte mit dem Experiment unter anderem beweisen wollen, dass sich der Kern von Uran unter dem Beschuss elektrisch neutraler Teilchen, den Neutronen, spalten lässt und dabei große Mengen Energie freisetzt. Ziel der Arbeiten im Rahmen des US-Atomprogramms „Manhattan Project“ war die Gewinnung von Plutonium.

Nobelpreis im Jahr 1938

Der 1901 als Sohn eines Beamten und einer Lehrerin in Rom geborene Fermi war bereits weltberühmt, als er die erste nukleare Kettenreaktion auslöste. Nach der Ausbildung in Pisa hatte er unter anderem bei Max Born in Göttingen und Paul Ehrenreich im niederländischen Leiden weiterstudiert, in Florenz Mathematik gelehrt, und war in Rom zum Professor für Theoretische Physik ernannt worden.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs floh Fermi mit seiner Frau, der jüdischen Schriftstellerin und Naturwissenschaftlerin Laura Capon, und den gemeinsamen zwei Kindern auf einem Unterseeboot der Alliierten vor den Faschisten in Italien nach Amerika. Die Entdeckung künstlich erzeugter Radioaktivität durch Neutronenbeschuss brachte ihm 1938 den Nobelpreis ein.

Nachdem er den Grundstein für Atomkraftwerke gelegt hatte, beteiligte sich Fermi im Rahmen des „Manhattan Project“ am Bau der Atombombe. Rund zweieinhalb Jahre nach der Reaktor-Premiere in Chicago, am 16. Juli 1945, löste Fermi mit Robert Oppenheimer und anderen namhaften Physikern die erste Kernexplosion in der Wüste von New Mexico aus. Dem Test folgte nicht einmal drei Wochen danach der Abwurf von Atombomben über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki.

Da war längst allen klar geworden, welche Konsequenzen das Experiment auf dem Squash-Court unter den Tribünen des Stadions der University of Chicago gehabt hatte . . .