Das unerwünschte Element

Chlor und seine Verwandten – Inbegriff von Gift?
Schwarzach Eine Umfrage nach dem giftigsten Chemiezeug, das kein Metall ist, würde wahrscheinlich das Element Chlor auf den ersten Platz setzen, schon auf Grund seiner Bekanntheit.
Chlor hatte in den letzten Jahrzehnten eine sehr schlechte Presse. Denn es war im Seveso-Gift Dioxin ebenso enthalten wie in Entlaubungsmittel „Agent Orange“, das im Vietnamkrieg eingesetzt wurde. Im Kunststoff PVC, Polyvinylchlorid, ist es immer noch vorhanden. Und natürlich im berüchtigten „Chlorhuhn“, mit dem uns die Amerikaner beglücken wollen. Allerdings wird zur Desinfektion von Hühnerfleisch nicht Chlor eingesetzt, sondern Chlordioxid. Es zerfällt beim Kontakt mit Lebensmitteln zu Chloridionen, die uns auch im Kochsalz begegnen; jeder von uns hat rund zehn Deka Chloridionen im Körper, wie wären ohne die nicht lebensfähig. – Dennoch wird immer wieder eine chlorfreien Chemie gefordert – Chlor sollte überhaupt aus dem Reich der organischen Chemie verschwinden. Bei Fensterrahmen nimmt man dann halt kein PVC, sondern einen Kunststoff ohne Chlor – aber was tut man beim Chloramphenicol, einem hochwirksamen Antibiotikum? Das nimmt man, wenn sonst nix mehr hilft. Stichworte: Typhus, Fleckfieber und Pest.
Das bringt mich auf die „Liste der unentbehrlichen Medikamente“, erstellt von der WHO: Sie umfasst rund 300 Substanzen. Davon enthalten 72, fast ein Viertel, Chlor oder seine Verwandten Brom, Jod und Fluor. Darauf will man verzichten? – Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Natur das Element Chlor in rauen Mengen in Substanzen einbaut, die sie selber herstellt. Ein Seetang auf Hawaii enthält über hundert Substanzen mit Chlor oder seinen Verwandten Brom und Jod. Bestimmte Meeresschnecken schützen sich vor Fressfeinden durch ein bitter schmeckendes Produkt, das Brom enthält. Der Geruch des Meeres selbst stammt vom Seegras, das Methylbromid, Methyljodid und Bromoform an die Luft abgibt. Methylbromid ist übrigens ein wirksames Pestizid, zerstört aber die Ozonschicht und ist daher weltweit verboten.
Kropfbildung
Leider wird es auch von zahlreichen Kohlarten an die Luft abgegeben – und vom Raps. Der allein produziert 6600 Tonnen pro Jahr, immerhin 15 Prozent der vom Menschen erzeugten Menge. Nadelbäume geben Methylchlorid an die Atmosphäre ab. Dadurch gelangen 900.000 Tonnen Methylchlorid in die Atmosphäre, aber nur 10.000 Tonnen aus der Industrie. Und wir selbst? Das Schilddrüsenhormon Thyroxin enthält Jod, Mangel an diesem Element führt zur Kropfbildung, weshalb das Salz jodiert wird. Lange bekannt. Aber erst seit einigen Jahren weiß man, dass die weißen Blutkörperchen mit dem Chlorid des Blutes und einem speziellen Enzym Bakterien und Tumorzellen chlorieren – ein wesentliches Element der Immunabwehr. Chlorfreie Chemie auf dieser Erde: das ist ein Ding der Unmöglichkeit!