Gefährliche Versuchung

Wissen / 09.10.2020 • 16:48 Uhr
Wesentliche Gefahr eines Atomreaktors ist das „Durchgehen“ mit Kernschmelze, wie man in der Ukraine und Japan leidvoll erfahren musste.AP
Wesentliche Gefahr eines Atomreaktors ist das „Durchgehen“ mit Kernschmelze, wie man in der Ukraine und Japan leidvoll erfahren musste.AP

Neue Reaktorkonzepte gegen den Klimawandel.

schwarzach Der drängende Klimawandel lässt manche Entscheidungsträger auch Konzepte wieder ausgraben, die man hierzulande längst für immer eingemottet glaubte – aber was wir denken, ist nicht unbedingt das, was der Rest der Welt denkt. Worum geht es? Um die Atomkraft natürlich. In Österreich vor knapp vier Jahrzehnten erst gar nicht eingeführt, in Deutschland später abgeschafft, ging es ihr seit Fukushima auch international nicht besonders. Inzwischen scheint sich die einschlägige Industrie zu erholen, das liegt an den Bedrohungen des Klimawandels, da käme eine – auf den ersten Blick – CO2-freie Stromproduktion sehr gelegen. Es hat aber auch mit neuartigen Reaktorkonzepten zu tun, über die auch der eingefleischte Atomgegner informiert sein sollte. Die haben nach den bekannten Katastrophen überhaupt nur eine Chance, wenn sie in den Bereichen Betriebssicherheit und Abfallmanagement grundsätzlich Neues bieten. Wesentliche Gefahr eines Atomreaktors ist das „Durchgehen“ mit Kernschmelze, wie man in der Ukraine und Japan leidvoll erfahren musste. Es gibt Konzepte, die eben das physikalische unmöglich machen sollen. So wird der „schnelle gasgekühlte Reaktor mit Thorium, Uran oder Plutonium betrieben. Der keramische Brennstoff kann nicht schmelzen, deshalb gibt es auch keine Kernschmelze. Die Kernspaltung erfolgt durch sogenannte „schnelle“, das heißt energiereiche Neutronen, die langlebige strahlende Spaltprodukte in solche mit kurzer Halbwertszeit umwandeln, das nennt sich Transmutation, der jahrhundertelange Traum der Alchimisten, Umwandlung eines Elements in ein anderes. Der Atommüll soll dadurch reduziert werden. Gekühlt wird mit dem Edelgas Helium, die hohe Betriebstemperatur von 850 Grad lässt Wasserstofferzeugung aus Wasser zu.

Ein weiterer Typ ist der „schnelle natriumgekühlte Reaktor“, der besonders in Russland forciert wird. Das Kühlmittel ist flüssiges Natriummetall, Betriebsmittel ist Natururan, bei Überhitzung sinkt die Spaltrate automatisch. Der Betriebsdruck liegt maximal bei 10 bar und nicht bei 75 wie bei einem herkömmlichen Reaktor. Es ist ein Brutreaktor, das heißt, er erzeugt durch seine schnellen Neutronen aus Uran Plutonium, das gleich wieder gespalten wird und Energie abgibt. Wichtig: seine Spaltprodukte sind leichter abschirmbar und kurzlebiger. Zum Beispiel hat das hier entstehende Technetium 99 sechs Stunden Halbwertszeit, Plutonium 239 dagegen 24.000 Jahre . . . Befürworter des Konzepts nennen diesesn Reaktortyp sogar „Abfallfresser“. Allerdings ist Natrium ein sehr reaktionsfreudiges Kühlmittel. Mit Wasser bildet es Wasserstoff, der sich entzündet. In Russland sind solche Reaktoren schon in Betrieb. Die Entwicklung ist dort im Gang, man will noch höhere Sicherheitsstandards erreichen – ein verständlicher Wunsch nach Tschernobyl . . .