Quälgeist im Magen

Wie man als Bakterium in Magensäure überlebt.
schwarzach Vor 40 Jahren stand ein australischer Arzt vor einer schweren Entscheidung: Er musste einem Patienten, der an chronischer Gastritis litt, zu einer Operation raten, bei der der Großteil des Magens herausgeschnitten würde; anders ließ sich die schwere Entzündung der Magenschleimhaut nicht mehr behandeln. In einer allerletzten Gewebeprobe entdeckte er dann zu seinem maßlosen Erstaunen eine Bakteriensorte in der Magenschleimhaut, heute heißt sie Helicobacter pylori. Die hatte da nichts verloren, im Magen haben überhaupt keine Mikrorganismen was verloren, die Magensäure sollte ihnen allen den Garaus machen.
Der pH-Wert ist in Maß für die Säurekonzentration im Magensaft, er liegt bei 1. Je kleiner der Wert, desto saurer die Flüssigkeit. Die Säure aus der Autobatterie liegt etwa bei 1 – mit so etwas begeht man Säureattentate – wie hält dann der Magen die eigene Säure aus? Durch Auskleidung der Magenwand mit Schleim. Ein Bakterium sollte da keine Chance haben. Helicobacter wurde schon 1905 von einem deutschen Arzt entdeckt, das nahm nan nicht zur Kenntnis, weil es der Lehrmeinung widersprach, die da lautete: Im Magen gibt es keine Bakterien, wenn dort jemand eine Entzündung hat, liegt es an einer Überproduktion von Magensäure, Gründe dafür: Stress und scharfes Essen. Behandelt wurde mit säurehemmenden Mitteln.
Was tat nun der australische Arzt? Er gab dem Patienten ein Antibiotikum, der Erreger verschwand, die Gastritis auch, der Magen blieb dem Glücklichen erhalten. Hat zuerst niemand geglaubt, bis Dr. Marshall einen heroischen Selbstversuch unternahm. Er trank eine Helicobacter-Kultur, bekam schwere Gastritis und heilte sich mit Antibiotika.
Erstaunlich lang hat es gedauert, bis man dahinterkam, wie das Bakterium im sauren Magen überleben kann, eigentlich ganz einfach. Das Bakterium neutralisiert die Säure in seiner unmittelbaren Umgebung durch eine Base, nämlich Ammoniak. Das reagiert mit der Salzsäure des Magensaftes zu harmlosem Ammoniumchlorid und Wasser. Das Ammoniak stammt aus Harnstoff, den das Bakterium mit Hilfe eines Enzyms abbaut. Außerdem, wie erst vor kurzem entdeckt wurde, stört das Bakterium – wieder durch ein Enzym – die Herstellung des Botenstoffes Interferon-Gamma, der eine Rolle im Immunsystem spielt. Das wäre jetzt alles nicht so dramatisch, wenn nicht jeder dritte Mensch bei uns den Helicobacterkeim im Magen hätte. Nicht jeder Dritte hat aber Gastritis (Gott sei Dank!). Warum die wenigen einen, die vielen anderen aber nicht? Das weiß man nicht genau. Eine Rolle spielen sicher Alkohol, Zigaretten und – Stress (scharfes Essen übrigens nicht)! Die Psychologen, die schon befürchten mussten, der Helicobacter werde ihnen die Existenzgrundlage nehmen, können aufatmen – auch die Psyche bestimmt, wie gut wir mit einem Bakterium zurechtkommen, das es sich schon vor 60.000 Jahren in unseren Mägen gemütlich gemacht hat.