Eine abgespeckte Finanziera
Wenn ein Gericht einen fixen Namen hat, kann man annehmen, dass damit definiert ist, was auf den Teller kommt. Ausnahmen wie Pasta asciutta bestätigen die Regel, dieses Beispiel beruht allerdings auf einem Missverständnis. Bei der piemontesischen Finanziera ist hingegen unklar, was nun unbedingt zu den Zutaten gehört. Im Prinzip handelt es sich um eine Art Innereien-Eintopf, aber mit welchen Innereien? In einem Slow-Food-Kochbuch für das Piemont findet man zwei Varianten, die sich erheblich unterscheiden. Die Gemeinsamkeiten sind Teile vom Kalb (Tatar, Bries, Hirn, Mark), Hahnenkämme, Steinpilze und Wein, aber in dem Rezept aus Alba werden Kalbsfilet, Kalbsnieren, Hühnerleber, Schweineleber und Erbsen hinzugefügt, in dem aus Asti stattdessen Kalbshoden und Parmesan.
Das einzige mir bekannte Lokal im Umkreis, das auf seiner Standardkarte eine „Finanziera alla piemontese“ anbietet, ist das „Il Kolosseum“ in St. Gallen, und dort enthält sie laut Karte Kalbsleber (die in keinem mir bekannten Finanziera-Rezept vorkommt), Kalbsnieren, Steinpilze und Zwiebeln. Ich habe sie probiert (28,50 Franken), sie schmeckt gut, aber ist sie eine richtige Finanziera? Die Selbstdarstellung des „Kolosseum“ klingt selbstbewusst: „Seit 33 Jahren servieren wir nun italienische Spezialitäten, davon über 20 Jahre allein im Kolosseum. Es mag Mode sein, dass sich jedes zweite Restaurant mit dem Titel Erlebniswelt krönt, aber nur wenige halten diesen Titel auch. Das Kochen italienischer Spezialitäten ist nicht wie ein Beruf, den man erlernt, denn dahinter steckt jahrelange Leidenschaft und Überzeugung.“
Die Küche des „Kolosseum“ ist nicht regional eingeschränkt, es gibt beispielsweise Kalbsleber auf venezianische Art, Piccata etrusca, Koteletts auf Mailänder Art, apulische Orecchiette mit Brokkoli und Cassata Napoletana. Jetzt im Herbst gibt es Steinpilze, zum Beispiel als Tiepida di Porcini, also lauwarm auf Radicchio als Salat angerichtet (19,50), oder als Beilage zum Filet Mignon (36 Franken). Geschmeckt hat mir alles, was ich hier bisher gegessen habe, vom Carpaccio bis zu den Ravioli mit Speck und Radicchio, allerdings hätte ich zum Ossobuco (31 Franken) lieber Safranrisotto als Polenta, und ich finde Vollrahm (!) in Spaghetti alla carbonara zu üppig und überhaupt troppo tedesco.
Restaurant Il Kolosseum, Riccardo Larcher, CH-9000 St. Gallen,
Bahnhofstraße 9, Tel. +41/71/2225860, Öffnungszeiten Mo bis Fr 10.15 bis 14.30 und 17.30 bis 23 Uhr, Sa 10 bis 14.30 und 17.30 bis 22.30 Uhr.