„Kurz freuen und dann zurück an die Arbeit“

Landeshauptmann Markus Wallner über den Standort und die Voraussetzungen, auch weiter auf der Erfolgsspur zu bleiben.
Vorarlberg verzeichnet das höchste Wachstum aller Bundesländer. Welchen Anteil daran hat die Politik, welchen die Wirtschaft?
Wallner In erster Linie ist der Wachstumspreis ein Verdienst Zigtausender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – im Moment sind das 160.000 Menschen – und sehr cleverer Familienbetriebe, die bereit sind, ein Risiko einzugehen. Das zusammen macht hohes Wachstum möglich. Und natürlich auch der Landes- und der Gemeindepolitik, auch der Sozialpartner, die sich anstrengen, die Wirtschaft positiv zu begleiten. Das Besondere in Vorarlberg ist das Zusammenspiel dieser Partner, die alle an einem Strang ziehen. Das ist eine echte Standortpartnerschaft.
Das Miteinander ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor, welche Eigenschaften haben außerdem das überdurchschnittliche Wachstum ermöglicht?
Wallner Da spielen mehrere Faktoren zusammen: Einerseits hängt das mit dem Fleiß der Vorarlberger zusammen, mit der Bereitschaft, deutlich mehr zu tun als andere. Auch ist das dem Erfindergeist der Unternehmer zu danken, wie man an der Patentstatistik erkennen kann. Die Kleinheit des Landes und die damit verbundenen kurzen Wege helfen. Wir haben auch die kleinste Verwaltung in Österreich. Wir haben außerdem einen exzellenten Markt vor der Haustüre. Durch den EU-Beitritt haben wir enormes Marktpotenzial ausschöpfen können. Wir haben profitiert wie kaum eine andere Region. Es gibt noch etwas Besonderes, auf das ich hinweisen möchte: Das Wachstum hierzulande ist keine Eintagsfliege. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir im Entwicklungstempo um ein Drittel schneller sind als die anderen Bundesländer. Wir halten auch mit den starken Regionen rund um den Bodensee mit. Und es spricht viel dafür, dass sich dieses Wachstum fortsetzen kann.
Dennoch gibt es Stimmen, die urgieren, dass wir zwar österreichweit Spitze sind, aber nicht im internationalen Vergleich …
Wallner Es wäre natürlich völlig falsch, wenn wir jetzt sagten: Wir lehnen uns zurück. Wir haben es schon mit beachtlichen Herausforderungen zu tun, Stichwort: Digitalisierung, Fachkräfte, die europäische Situation, die derzeit niemand vorhersehen kann, oder die Flüchtlingssituation. Aber wenn wir die Wirtschaftsregion Vorarlberg mit jenen Standorten vergleichen, die vergleichbar sind, dann sind wir sicher unter den Top 10. Wir zählen heute zu den europäischen Zugpferden. Wir müssen uns aber alle anstrengen, damit wir diesen Vorsprung halten können und nicht an Entwicklungstempo einbüßen. Kurz freuen und dann wieder zurück an die Arbeit, die Ärmel aufkrempeln. Platz eins zu holen ist oft einfacher als ihn zu halten.
Wo sind die Chancen und Defizite, wo setzt die Landesregierung wirtschaftspolitisch an?
Wallner Es gibt mehrere Themen, die wichtig sind. Ein erstes, das ich immer wieder von Unternehmern und Arbeitnehmern bei Betriebsbesuchen höre: die Fachkräftesituation. Vorarlberg sollte sich weiter profilieren als das Land mit der besten Ausbildung – das muss ein ganz klares Ziel sein. Wir reden viel über eine Marke Vorarlberg – ich glaube, wir haben mit der Ausbildung einen ganz starken Markenkern. Die besten Fachkräfte, auch die mit der höchsten Motivation, gibt es hierzulande. Das sollten wir weiter vorantreiben: Die Lehrlingsausbildung weiter unterstützen, in die Berufsschulen investieren, die Fachhochschule ausbauen und die Anzahl der technischen Absolventen steigern, in die Bildung generell weiter investieren, schauen, dass kein Kind zurückbleibt, und die Weiterbildung noch stärker in den Fokus rücken. Die Weiterbildungsinstitute der Sozialpartner sind dabei ganz wichtig.
Stichwort Digitalisierung. Wie gut ist Vorarlberg aufgestellt, wie sieht der Breitbandausbau in den Talschaften aus?
Wallner Wir können besser werden. Das Land Baden-Württemberg hat als erstes deutsches Bundesland eine Digitalisierungsstrategie erarbeitet. Wir arbeiten derzeit auch an einer digitalen Agenda, die noch heuer auf den Tisch muss. Beim Breitband ist der nächste Ausbauschritt 100 Mbit. Dann müssen wir auch Digitalisierung und Bildung genauer anschauen. Die Fachhochschule muss da nachschärfen, das sage ich ganz offen. Und dann ist sicher die wichtigste Frage, was es für die Unternehmen selbst heißt: In der Beziehung zum Kunden, aber auch in der Produktion. Da passieren große Umbrüche. Die Frage ist immer: Sind die Unternehmen gut vorbereitet? Seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, dass das Bewusstsein stark gestiegen ist, die Wirtschaft sehr stark agiert. Digitalisierung ist aber schon fast wieder Schnee von gestern, wir reden jetzt von künstlicher Intelligenz und über die Frage, was das für die Produktion bedeutet. Da kommen wirklich große Dinge auf uns zu. Da sind uns Europäern die Amerikaner um Welten voraus.
Unternehmer und die Bevölkerung sind unsicher, wie mit dem raren Gut Boden umgegangen wird. Wie geht es in dieser Sache weiter?
Wallner Da gibt es ein gewisses Spannungsfeld. Wir müssen eine moderne Konzeption verfolgen. Moderner Naturschutz ist integrierter Naturschutz, in dem Umwelt und Wirtschaft miteinander kooperieren müssen. Was eine wichtige Wende bringen kann, ist das Raumbild 2030. Das läuft darauf hinaus, die Landesraumplanung zu stärken, das Raumplanungsgesetz zu ändern und damit Entwicklungsprogramme zu forcieren und klarer zu definieren. Die Raumplanung hat bei uns auch eine starke Gemeindekompetenz, die von unten nach oben kommt, und wir brauchen da eine gewisse Veränderung. Wir planen für 2018 eine große Raumplanungskonferenz mit allen Beteiligten, um die Fragen zu diskutieren.
Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass sich in letzter Zeit die Fronten eher verhärtet haben?
Wallner Unsere Bevölkerung in Vorarlberg hat eigentlich ein sehr gesundes Verhältnis zur Wirtschaft und weiß ganz genau, dass der Wohlstand im Land erwirtschaftet werden muss. Aber die Bevölkerung legt zu Recht auch Wert auf höchste Lebensqualität. Die Leute wissen ganz genau, dass wir in einer Region leben, die beides vereinbart. Man will Raum für die Freizeitgestaltung, aber auch gleich um die Ecke arbeiten. Dafür brauchen wir Leitlinien wie das Raumbild 2030. Die Gemeindekooperationen, die wir derzeit haben, sind noch zu wenig, das reicht nicht aus. Da wird man weitere weitere Anreize für Kooperationen setzen müssen.
„Der Wirtschaftsstandort Vorarlberg zählt heute zu den europäischen Zugpferden. Wir müssen uns aber alle anstrengen, damit wir diesen Vorsprung halten können und und nicht an Entwicklungstempo einbüßen.“