Fremdgefüttert, fremdgewickelt

Gesund / 11.07.2014 • 12:54 Uhr
Fremdgefüttert, fremdgewickelt

Neue Buchreportage gibt Einblicke in die 24-Stunden-Pflege.

Braunau. Gefüttert werden statt selbst zu essen. Windeln tragen statt die Toilette aufsuchen. Gewaschen werden statt duschen gehen. Pflege bedeutet, sich anderen Menschen auszuliefern. Seniorenheim oder Pflege daheim? Wie können wir eine Pflege gewährleisten, die die Würde der Menschen bewahrt? Diese Fragen wirft die neue Buchreportage des oberösterreichischen Autors Norbert Blaichinger auf.

Alle Sichtweisen

Um hautnah zu beschreiben, wie es ist, von slowakischen Pflegerinnen betreut zu werden, hat er sich über mehrere Wochen in einem Haushalt mit wechselnden Pflegerinnen einquartiert. Einfühlsam und wertfrei beschreibt er, was er miterlebt hat: Die Gefühle und Sichtweisen der Angehörigen ebenso wie jene der Pflegerinnen, die ihren Job meistens so gut es ihnen eben möglich ist verrichten. Allein aus der Slowakei sind derzeit 16.000 Pflegerinnen in Österreich im Einsatz, rund 500 Agenturen sind auf die Vermittlung von Pflegepersonal spezialisiert, und das Problem wird immer größer: Ab 2020 wird es mehr als eine halbe Million über 80-Jährige in Österreich geben, die Zahl der Demenzkranken wird sich mittelfristig auf 250.000 verdoppeln, eine Pflegeversicherung wäre dringend nötig.

Fachinterviews

Die Politik hat diese Herausforderungen bisher noch nicht ernst genug genommen, wie auch die Fachinterviews im zweiten Teil des Buches zeigen: Von Sozialminister Hundstorfer über die Leiter von Caritas und Diakonie bis zu Vermittlungsagenturen und Medizinern ist das Spektrum der involvierten Akteure abgedeckt. Lösungen hat jedoch niemand parat. „Unsere Gesellschaft muss über den Umgang mit dem Älterwerden nachdenken. Sie tut das zu wenig“, schließt Buchautor Blaichinger. „Niemand kann sich dem Thema Pflege entziehen. Man kann es höchstens vor sich herschieben.“ Dringenden Handlungsbedarf bestätigen auch aktuelle Zahlen: Rund 1,6 Millionen Österreicher sind akut pflegebedürftig (Statistik Austria 2012), der Großteil lässt sich von den Angehörigen versorgen.

Familien sichern System

Dass es bis jetzt noch zu keinem Kollaps des Systems gekommen ist, liegt vor allem an diesen Familienmitgliedern – rund 80 Prozent der Pflegegeldbezieher werden daheim von Partnern und Familie betreut. Detail am Rande: Drei Viertel der Männer ab 60 werden von ihren Partnern gepflegt, hingegen werden nur 13 der Frauen von ihren Ehemännern gepflegt.

Norbert Blaichinger: Ausländische Pflegekräfte 24 Stunden im Einsatz – Eine Reportage. Edition Innsalz, 152 Seiten, Preis: 16,50 Euro