Schmerztherapie hat Grenzen

Patienten fühlen sich oft alleingelassen. Forderung nach Schmerzambulanz erhoben.
Feldkirch. (VN-mm) Chronischer Schmerz ist ein sehr emotional besetztes Thema. Das zeigte sich bei der ersten Mini Med-Veranstaltung im Herbstsemester. Verzweifelte Patienten beklagten Unzulänglichkeiten in der Schmerztherapie. Sie fühlen sich alleingelassen, zum Teil nicht einmal ernstgenommen. Ebenfalls lautstark kritisiert wurde das Fehlen einer Schmerzambulanz. In diesem Spannungsfeld müssen Ärzte tagtäglich agieren. Und trotz größtem Bemühen gelingt es in vielen Fällen nicht, Betroffene gänzlich schmerzfrei zu bekommen. „Das ist Illusion“, räumte auch OA Dr. Otto Gehmacher, Leiter der Palliativstation im LKH Hohenems, frank und frei ein. Denn die Ursachen von chronischem Schmerz sind komplex und betreffen den Körper ebenso wie die Seele. Bio-psycho-soziales Schmerzmodell nennt es die Medizin heute.
Wichtige Kompetenz
Die Kompetenz, Schmerz zu beurteilen und zu behandeln, ist in allen Bereichen der Medizin zu einem wichtigen Thema geworden. Denn schon 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung plagen sich mit chronischen Schmerzen. Nicht nur das. „Es kostet auch Geld“, verdeutlichte Otto Gehmacher. 6 bis 8 Prozent der Gesundheitsausgaben entfallen auf Schmerzpatienten. Während sich jedoch der akute Schmerz weitgehend behandeln lässt, sieht es bei chronischem Schmerz schlechter aus. „Warum Schmerz chronisch wird, ist nicht eindeutig geklärt. Psychosoziale Faktoren spielen aber eine wesentliche Rolle“, erklärte Gehmacher den Besuchern im vollbesetzten Panoramasaal des LKH Feldkirch.
Von Chronifizierung spricht die Medizin, wenn Schmerz länger als sechs Monate anhält. „Die Schmerzbahnen sind ständig aktiv und senden Schmerzsignale ins Gehirn. Das bremsende System hingegen ist blockiert“, so der Internist. Schmerz selbst wird über die Nervenbahnen ins Rückenmark geleitet, wo sich eine Art Umschaltstelle befindet. Dort kann sich der Schmerz verstärken oder abschwächen.
Schmerzgedächtnis
Laut Gehmacher besteht zum einen eine Veranlagung zu Schmerz, zum anderen beeinflussen Komponenten wie Einsamkeit, Stress, Überforderungen oder Gewalterfahrungen in der Kindheit eine Schmerzsituation. Das Gehirn speichert solche Erlebnisse, die aufbrechen, wenn sich eine ähnliche Situation einstellt. „Schmerz ist also ein Miteinander von körperlichen und psychosozialen Ursachen“, stellte der Leiter der Palliativstation fest. Das sei für Patienten oft schwer zu begreifen. Aus medizinischer Sicht gelte es, die sozialen Faktoren stärker zu berücksichtigen. Eine gänzliche Schmerzfreiheit kann die Medizin trotzdem nicht bieten. „Obwohl wir das gerne würden“, ergänzte Otto Gehmacher. Doch das Therapieziel sei oft gar nicht völlige Schmerzfreiheit, sondern der Erhalt der Aktivität. Dabei können auch Worte lindernd wirken, wenn ihnen eine positive Stimmung innewohnt.
Hohe Suchtgefahr
Das große Problem bei der medikamentösen Behandlung sind mögliche Wechselwirkungen von Medikamenten sowie die Suchtgefahr. „Hohe Dosen von Morphin machen mehr Probleme als sie lösen“, veranschaulichte Gehmacher. Auch Cannabis zeitigt häufig unangenehme Nebenerscheinungen. Gute Erfolge hingegen bringt das Chillipflaster, das bei Nervenschmerzen eingesetzt wird. Daten belegen eine deutliche Schmerzlinderung von 2 bis 3 Monaten. Auch regelmäßige Bewegung, Entspannungsübungen, Physio- und Verhaltenstherapie sind Optionen für den Umgang mit chronischem Schmerz. „Das ist aber mitunter ein sehr langer Weg“, musste Gehmacher zugeben. Im LKH Hohenems besteht ein interdisziplinäres Schmerzboard, mithilfe dessen gemeinsam Strategien gegen komplexe Schmerzen entwickelt werden.
Schmerzverstärker
Über Schmerzen in der Onkologie berichtete OA Dr. Alois Lang vom Landeskrankenhaus Feldkirch. „Schmerz ist das, was der Patient sagt, und Schmerz existiert, wann immer es der Patient sagt“, brachte der erfahrene Onkologe die Sache für seinen Wirkungsbereich auf den Punkt. Bei Krebs führt akuter Schmerz zudem zur Diagnose, verändert er sich, ist das ein Zeichen für einen sich ändernden Krankheitsverlauf. Lang verwies darauf, dass auch Haltungen schmerzverstärkend wirken können, etwa gegen die Krankheit anrennen zu wollen. Derzeit laufen weltweit Untersuchungen für eine bessere Schmerzbehandlung.