Die Scham als Hüterin der Menschenwürde

Damit Grenzen in der Behandlung von Patienten nicht überschritten werden.
Dornbirn. Sterben, Nacktheit, Überschreitung der eigenen Schamgrenze: Gerade im Krankenhaus werden Personal wie Patienten oft mit heftigen Situationen und Gefühlen konfrontiert. Nirgends wird das Zusammenspiel vom Scham und Peinlichkeit so deutlich, wie in dieser Beziehung. Hier bewegen sich Ärzte- und Pflegeteams an menschlichen Grenzen, jener der Privatheit und Intimität. Werden diese nicht gewahrt, wird die Würde sehr leicht verletzt. „Scham ist eine schmerzhafte, oft übersehene Emotion, die in jeder Begegnung mit Menschen akut werden kann. Es ist sehr wichtig, Scham zu erkennen, um mit ihr konstruktiv umgehen zu können“, betont Primar Guntram Winder. Deshalb lud das Klinische Ethik-Komitee des Krankenhauses zum Vortrag „Scham – Hüterin der Menschenwürde“ mit Stephan Marks.
Ins Positive wenden
„Scham ist wie ein Seismograph, der sensibel reagiert, wenn das menschliche Grundbedürfnis nach Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit oder Integrität verletzt wurde“, erklärte Stephan Marks, Sozialwissenschaftler und Gründungsmitglied des Freiburger Instituts für Menschenrechtspädagogik. Dabei dient die Scham in erster Linie dazu, die Würde eines Menschen zu schützen. Dass ein Mensch beschämt wird, kann sehr leicht geschehen. Wenn es aber gelingt, die Würde des Menschen zu achten, kann die Scham ins Positive gewendet werden. Pflegende und Gepflegte jeder Altersgruppe erleben Scham in unterschiedlichsten Situationen. Kinder schämen sich, wenn man bei ihnen rektal Fieber misst, Erwachsene bei der Intimpflege oder wenn sie eine Bettpfanne benötigen. „Hier einen menschenwürdigen Umgang zu pflegen ist für alle wesentlich“, betont Guntram Winder, Leiter der Abteilung Innere Medizin. Beim Vortrag stand Stephan Marks den Interessierten auch Rede und Antwort. Er erklärte, wie Scham funktioniert und wie sie zu erkennen ist.
Denn gerne werden Scham- und Peinlichkeitsgefühle beiseitegeschoben: Wo sich die Pflegenden nicht ekeln dürfen, dürfen sich die Patienten auch nicht schämen. Zudem werden in der pflegerischen und ärztlichen Routine und im Stress, dem das Fachpersonal ausgesetzt ist, die Patienten mitunter auf ihr Krankheitsbild oder eine Nummer – der Schlaganfall auf Zimmer 612 – reduziert. Wenn der Mensch als Mensch übersehen wird, werden Scham- und Ekelgefühle genauso übersehen. Wer die Würde des Menschen wahren möchte, der muss Scham besser verstehen, um angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen.
„Bei der Weiterbildung steht nicht nur die fachliche Qualifikation im Hinblick auf medizinisches sowie pflegerisches Know-how im Fokus, sondern auch die zwischenmenschliche Ebene. Denn es geht schließlich um den Menschen. Nur wer sich als Mensch behandelt fühlt, fühlt sich wahrgenommen“, betont auch Bürgermeisterin Andrea Kaufmann.