Zahnprothesen und Hühnerknochen

Zwischen Hals und Hirn gibt es zahlreiche behandlungsbedürftige Ereignisse.
Bludenz. (VN-mm) Von außen betrachtet ist der Hals-Nasen-Ohren-Bereich eine unterschätzte medizinische Disziplin. Das machte der MedKonkret-Vortrag von Primar Wolfgang Elsäßer deutlich. Das Arbeitsgebiet der HNO-Ärzte ist nicht nur vielfältig, sondern auch extrem breit. Erstaunlich, was zwischen Hals und Hirn alles an behandlungsbedürftigen Ereignissen vorkommt. „Und meist handelt es sich um dramatische Notfälle“, erklärte der Leiter der HNO-Abteilung im Landeskrankenhaus Feldkirch. Einer der Hauptgründe ist die Atemnot, die durch HNO-Erkrankungen verursacht wird.
Wohlwollender Empfang
Erstmals seit Bestehen gastierte die Gesundheitsplattform MedKonkret in Bludenz. Die Besucher goutierten es mit Wohlwollen. „Schön, dass ihr auch einmal ins Oberland kommt“, war zahlreichen Wortmeldungen zu entnehmen. Spannend gestaltete sich auch der Vortrag von Primar Wolfgang Elsäßer. Er brachte den im Stadtsaal interessiert lauschenden Zuhörern das umfangreiche Tätigkeitsfeld der HNO-Ärzte in Wort und Bild näher. So werden an der einzigen HNO-Abteilung des Landes jährlich 70 bis 80 Tumorerkrankungen behandelt. Solche Tumore können überall auftreten, im Kehlkopf, im Rachen, im Mund, in der Nase, im Ohr. Sogar Metastasen eines Lungentumors hat Elsäßer im Ohr gefunden. „Bis dahin wusste der Patient noch gar nicht, dass er an Lungenkrebs leidet“, berichtete er Arzt.
Ein Klassiker im Behandlungsspektrum ist der Hörsturz. Er tritt plötzlich auf und manifestiert sich als einseitige Innenohrschwerhörigkeit. Dabei verlieren die Sinneshaare den Kontakt zu den Hörnerven. Die Ursache ist laut Elsäßer nicht ganz klar. Es können Viren eine Rolle spielen, ebenso die durch Zecken übertragenen Borrelien und Stress. Die gute Nachricht: Es gibt eine Spontanheilungsrate von 60 bis 70 Prozent. Mit einer entsprechenden und frühzeitigen Therapie steigen die Chancen auf Gesundung auf 80 bis 90 Prozent. Als wirkungsvollste Waffe gegen den Hörsturz gilt der gezielte Einsatz von Kortison.
Gutartiges Leiden
Ebenfalls oft sind HNO-Ärzte mit Schwindelerkrankungen befasst. Nervenentzündungen können beispielsweise einen heftigen Drehschwindel auslösen, der Betroffenen enorm zusetzt. Doch das gutartige Leiden lässt sich auch gut behandeln. Elsäßer sprach von Beschwerdefreiheit nach acht bis zwölf Wochen. Die häufigste Schwindelform ist der Lagerungsschwindel. Dabei lösen sich die Ohrsteinchen und schwimmen in den Bogengängen herum. Mittels sogenanntem Befreiungsmanöver werden sie wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückkatapultiert.
Ein besonders heißes Eisen sind Fremdkörper in Lunge und Speiseröhre. „Jeder Verdacht darauf muss schnellstens abgeklärt werden“, betonte Primar Wolfgang Elsäßer. Denn Fremdkörper verursachen Atemnot, was für Patienten eine dramatische Situation bedeutet. Atemnot kann sich innerhalb von Minuten entwickeln, dann ist besondere Eile geboten. Sie kann aber auch innerhalb von Stunden oder sogar über Monate entstehen. Letzteres ist bei Tumoren der Fall. Bemerkenswert auch, was da so alles aus Speise- und Luftröhre herausgefischt wird. Erdnüsse, Plastikteile (bei Kindern), schlecht zerkaute Nahrung, Zahnprothesen (bei alten Menschen), Hühnerknochen: Elsäßer hätte vermutlich noch mehr aufzählen können. Doch die Beispiele waren eindrücklich genug.
Ein großes HNO-Thema sind Blutungen aus Nase, Rachen und Ohr. Nasenbluten kann harmlos, aber auch lebensbedrohlich sein, besonders bei blutverdünnten Patienten, von denen es immer mehr gibt. Lässt sich das Blut nicht stillen, muss operativ eingegriffen werden. Nach wie vor heikel sind Mandeloperationen. Bis zu zwei Wochen nach dem Eingriff können Nachblutungen auftreten. Deshalb werden zu große Mandeln heute nicht mehr entfernt, sondern verkleinert. Bei Kindern unter sechs Jahren erfolgt eine Mandelentfernung nur nach strengster Indikation.
Viel Arbeit in der Badesaison
Aufpassen heißt es bei Nasennebenhöhlenentzündungen. Sie können vielfältige Komplikationen zeitigen, von Schwellungen der Augen bis hin zu Hirnabszessen. „Sehr schnell handeln heißt es bei Verletzungen des Augennervs“, betonte Elsäßer. Um weiteres Ungemach zu vermeiden, benötigt der Sehnerv innerhalb von sechs Stunden eine Entlastung. Während der Badezeit beschäftigen Entzündungen des äußeren Gehörganges die Ärzte. „Jedes Wochenende haben wir mindestens zehn Patienten zu versorgen“, berichtete Wolfgang Elsäßer.
Er wies außerdem darauf hin, dass das Ohr das einzige Sinnesorgan ist, das durch technische Hilfsmittel ersetzt werden kann. Dazu zählt das Cochleaimplantat. Es wird bei Bedarf schon Kleinkindern eingesetzt. In Vorarlberg gibt es seit 1996 eine flächendeckende Hörtestung bei Neugeborenen. Jährlich kommen vier bis sechs Kinder mit Schwerhörigkeit zur Welt.