Gefährliche Kristalle aus Cholesterin
Sie beeinflussen Multiple Sklerose laut Studie stark.
München Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, bei der Immunzellen fettreiche Myelinscheiden der Nervenfasern abbauen. Der Wiederaufbau intakter Myelinscheiden ist jedoch notwendig, damit sich Patienten von ihren Behinderungen erholen. Aber die Fähigkeit zur Regeneration nimmt mit dem Alter ab. In „Science“ liefert ein Team um Prof. Mikael Simons von der Technischen Universität München (TUM) dafür eine mögliche Erklärung: Fettmoleküle aus der Myelinscheide, die nicht rasch aus Fresszellen abtransportiert werden, können eine chronische Entzündung auslösen. Dies verhindert den Wiederaufbau der Myelinhüllen. Zudem beschreibt das Team in einer weiteren Publikation Zellen, die nur dann erscheinen, wenn eine Myelinscheide neu gebildet wird.
Entscheidende Rolle
Für die Funktion des Zentralnervensystems spielt die Myelinscheide eine entscheidende Rolle. Es handelt sich um eine spezielle, besonders fettreiche Membran, die Nervenfasern so isoliert, dass elektrische Signale schnell und effizient weitergeleitet werden. Wird diese Hülle beschädigt, kann es zu Ausfallerscheinungen wie Lähmungen kommen. Bei MS kommt es im Laufe der Erkrankung an vielen verschiedenen Stellen im Gehirn oder Rückenmark durch körpereigene Immunzellen zu einer Zerstörung der Myelinscheide. Die Regeneration der Myelinscheide ist bei MS grundsätzlich möglich, aber in den meisten Fällen unzureichend. Einer der Gründe sind vermutlich chronische Entzündungen, die an den beschädigten Stellen entstehen. Das Team um Mikael Simons, Professor für Molekulare Neurobiologie an der TUM, hat herausgefunden, dass nach der Zerstörung der Myelinscheide kristallines Cholesterin – ähnlich wie bei der Arteriosklerose – eine anhaltende Entzündung auslöst, die eine Regeneration verhindert.
Fresszellen aktiviert
„Myelin hat einen sehr hohen Anteil an Cholesterin“, erläutert Simons. „Wenn Myelin zerstört wird, muss das Cholesterin, das dabei freigesetzt wird, aus dem Gewebe beseitigt werden.“ Diese Aufgabe erledigen Fresszellen, oder auch Mikroglia und Makrophagen genannt. Sie nehmen die beschädigte Myelinscheide in das Innere der Zelle auf, verdauen diese und befördern die unverdaulichen Reste über Transportmoleküle wieder aus der Zelle heraus. Häuft sich jedoch in kurzer Zeit zu viel Cholesterin in der Zelle an, kann es passieren, dass Kristalle gebildet werden. Die Folgen des kristallinen Cholesterins: Es aktiviert in den Fresszellen ein sogenanntes Inflammasom, dass unter anderem dafür sorgt, dass Entzündungsmediatoren freigesetzt und mehr Immunzellen angelockt werden. „Ganz ähnliche Probleme treten auch bei Arteriosklerose auf, nur eben nicht im Gehirngewebe, sondern in den Blutgefäßen“, sagt Simons.
Neuer Zelltyp
Eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung von Therapien zur Förderung der Reparatur ist ein besseres Verständnis der Myelinbildung. Eine weitere Studie unter der Leitung von Prof. Simons und Prof. Christine Stadelmann vom Institut für Neuropathologie der Universität Göttingen, die kürzlich in „Science Translational Medicine“ erschienen ist, liefert dazu wichtige neue Erkenntnisse. Die Wissenschaftler entdeckten einen neuen Zelltyp, eine besondere Form der sogenannten Oligodendrozyten. Sie gehören zu den Gliazellen im Gehirn, die für die Myelinisierung verantwortlich sind. „Wir nehmen an, dass die von uns entdeckten BCAS1-positiven Oligodendrozyten eine Zwischenstufe in der Entwicklung dieser Zellen darstellen. Sie sind nur relativ kurze Zeit nachweisbar, nämlich dann, wenn gerade Myelin gebildet wird“, sagt Mikael Simons. In menschlichen Gehirnen sind sie beispielsweise besonders stark in Neugeborenen nachweisbar, wenn die Myelinisierung besonders ausgeprägt ist. Bei Erwachsenen verschwinden diese Zellen zum Großteil, können aber neu gebildet werden, wenn die Myelinscheide beschädigt wird und neuaufgebaut werden muss. „Wir hoffen, dass die BCAS-1 positiven Zellen uns bei der Suche nach neuen Medikamenten zur Regeneration von Myelin helfen können“, erklärt Simons. So könnte man jetzt gezielt nach Substanzen suchen, die die Bildung dieser Zellen anregen.
„Wenn Myelin zerstört wird, muss das Cholesterin, das dabei freigesetzt wird, aus dem Gewebe beseitigt werden.“