Ein tapferes Gegenüber sein
Gespräche über Tod und Sterben sollten zugelassen werden.
Rankweil Sie hat die Palliativversorgung in Tirol mitaufgebaut, war 20 Jahre bei der Tiroler Hospizgemeinschaft beschäftigt und dort ärztliche Leiterin. Inzwischen ist Elisabeth Medicus in Pension, das Thema liegt ihr aber nach wie vor sehr am Herzen.
So unterrichtet sie unter anderem im Rahmen eines Lehrauftrags an der Medizinischen Universität Innsbruck junge Medizinstudierende in diesem mittlerweile zur Pflicht gewordenen Fach, denn: „Sind sie frühzeitig damit befasst, verändert sich das Bewusstsein für die Thematik.“ Sie selbst hat mit wenig Rüstzeug begonnen, doch immer war da der Gedanke, dass es etwas braucht in der Medizin. Deshalb möchte Elisabeth Medicus ihre Erfahrungen weiterzugeben, „so lange sie gefragt sind“. Am Freitag, 11. November 2022 ist sie ab 19 Uhr zu Gast im Alten Kino in Rankweil. Ihr Vortrag befasst sich mit der Frage: Wie umgehen mit dem Sterbewunsch? Der Eintritt ist frei.
Welchen Stellenwert hat die Palliativmedizin bzw. Palliativpflege ganz allgemein?
Medicus Die Palliativmedizin ist meines Erachtens ein Querschnittthema in der Medizin, weil wir alle sterbliche Menschen sind und die schweren Krankheitsverläufe eher zu- als abgenommen haben. Die moderne Medizin macht es jedoch möglich, dass kranke Menschen lange gut leben können. Dazu trägt auch die Palliativbetreuung viel bei.
Der Palliativgedanke wird immer noch häufig ausschließlich mit Sterben assoziiert. Warum hält sich das so hartnäckig?
Medicus Ich denke, das liegt daran, dass wir versuchen, das Thema Tod irgendwohin zu schieben. Da bietet sich dieser Bereich ein Stück weit an. Da ist das Thema quasi aufgehoben. Es fällt uns allen schwer, das Leben im Sterben zu sehen. Die Hospizbewegung und Palliativbetreuung gibt es deswegen, weil das Sterben aus der Medizin herausgefallen ist. Diese Bewegung entstand, um dem Sterben und Lebensende wieder einen Platz einzuräumen. Je früher man beginnt, sich damit auseinanderzusetzen, umso besser verläuft das Lebensende. Das haben Forschungen belegt.
Gibt es eine Begründung dafür?
Medicus Man kann die Menschen besser miteinbeziehen, sie rechtzeitig fragen, was sie möchten, was ihnen wichtig ist.
Hat sich etwas verändert, seit es die Möglichkeit des assistierten Suizids gibt?
Medicus Dafür ist es zu früh. Es gibt noch zu wenig Erfahrung, aber es ist Thema geworden. Es wird mehr darüber geredet, jetzt, da es real geworden und auch durch ein Gesetz abgesichert ist, andere Menschen in einem bestimmten Rahmen um Beihilfe bitten zu können.
Haben Sie persönlich bereits Anfragen erhalten?
Medicus Ich selbst bin nicht mehr direkt in der Patientenbetreuung tätig, aber ich weiß von Kolleginnen, die Anfragen bekommen haben.
Wie gehen die Kolleginnen damit um?
Medicus Ich erlebe das sehr unterschiedlich. Meine persönliche Botschaft ist als erstes zu fragen, warum ein Mensch das möchte. Es gibt viele Gründe für einen Sterbewunsch, aber nur, wenn man den Grund versteht, kann man angemessen darauf eingehen. Nicht immer steht tatsächlich der Wunsch dahinter, das Leben definitiv zu beenden. Da braucht es auch in Bezug auf die Palliativbetreuung noch Aufklärung, weil die Möglichkeiten zu wenig bekannt sind.
Wie kann dem Sterbewunsch eines Angehörigen adäquat begegnet werden?
Medicus Der erste Schritt ist, und dazu möchte ich aus eigener Erfahrung ermutigen, nicht zu erschrecken, wenn ein Angehöriger vom Sterben redet. Für den Betroffenen ist es oft schon eine große Entlastung, sich überhaupt äußern zu können. Angehörige sollten dann in ein Gespräch einsteigen, nachfragen, solche Aussagen keinesfalls kleinreden, selbst wenn sie Ratlosigkeit oder Ängste auslösen. Das gilt es zu überwinden, wenn man den Menschen helfen will. Man soll ein tapferes Gegenüber sein. VN-MM
„Die Hospiz- und Palliativbewegung entstand, um dem Sterben wieder einen Platz einzuräumen.“