Vor dem Tod kommt das Leben

Gesund / 25.11.2022 • 10:30 Uhr
Oberarzt Otto Gehmacher (l.) und Christoph Miller sprachen offen über die oft schwierige Arbeit in der Palliativpflege.khbg
Oberarzt Otto Gehmacher (l.) und Christoph Miller sprachen offen über die oft schwierige Arbeit in der Palliativpflege.khbg

Hoffnung, Mut und Lachen auch im Angesicht einer schweren Erkrankung.

hohenems „Gespräche mit Menschen, die lebensmüde sind, zählen für mich zu den herausforderndsten Tätigkeiten.“ Otto Gehmacher, Oberarzt und Leiter der Palliativstation am LKH Hohenems verhehlte nichts, auch nicht, dass sich die Palliativstation als Einrichtung darauf geeinigt hat, Patienten nicht bei der Durchführung des assistierten Suizids zu begleiten. „Wir versuchen, mit unserer Arbeit präventiv zu wirken“ sagte er. Es sei keine Niederlage, wenn sich der assistierte Suizid nicht verhindern lasse, aber: „Ich glaube, Palliativ Care sollte sich auch bemühen, Alternativen aufzuzeigen“, betonte Gehmacher. Bei vielen Patienten sind es seinen Erfahrungen zufolge nicht die Symptome, die den Gedanken an diese Möglichkeit befeuern. Im Vordergrund würden oft vielmehr Sinnlehre und Angst vor Abhängigkeit stehen.

Gute Symptomkontrolle

Als wichtig für seine Arbeit und die des Teams erachtet er deshalb, sensibel herauszufinden, was hinter einem Sterbewunsch steckt, wie konkret er ist, wovor der Patient Angst hat und wie Palliative Care kompetente Unterstützung leisten kann. Oft reiche eine gute Symptomkontrolle, um die Menschen wieder ins Leben zurückzuholen. Otto Gehmacher verwies auch darauf, wonach der assistierte Suizid nicht etwas ist, das nur den Betroffenen angeht. „Man tötet sich nicht allein. Es betrifft ebenso das Familiensystem. Die Angehörigen müssen mit dieser Situation weiterleben“, gab der Arzt zu bedenken und riet dazu, eine solche Entscheidung nicht vorschnell zu treffen. Darauf hat der Gesetzgeber unter anderem mit Wartefristen reagiert.

Die Entscheidung für das Nein gegen die Begleitung eines assistierten Suizids begründete Gehmacher auch damit, dass Menschen, die auf die Palliativstation kommen, die Sicherheit haben sollen, „dass wir sie gut unterstützen, das Sterben aber nicht beschleunigen“. Es habe schon einige Situationen gegeben, in denen er um dieses strikte Argument froh gewesen sei, gab er freimütig zu. Sicherheit und Geborgenheit sind weitere Schlagworte, die für Patienten große Bedeutung haben. „Es ist bedrückend, wenn Menschen in ihren letzten Lebenswochen bei uns sagen, sie hätten sich noch nie so geborgen gefühlt“, schilderte Otto Gehmacher. Er erklärte auch die palliative Sedierung, eine Art Schlafbehandlung mit Medikamenten, die das Leid erträglich machen, das Sterben jedoch nicht beschleunigen, den Patienten jedoch ermöglichen, ihren Weg zu gehen, ohne Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Was er außerdem betonte: „Es geht nie um urteilen und bewerten.“

Besondere Patientengeschichten

Für die Pflege sprach Christoph Miller. Für ihn persönlich ist die Palliativstation eine sehr besondere Station. In der Gesellschaft löse der Begriff jedoch unterschiedliche Bilder und Vorstellungen aus. „Viele werden denken, dass es eine Sterbestation ist. Doch die Palliativstation ist keine Sterbestation. Bei Aufnahme stehen die Verbesserung der Symptome und die Entlassung im Vordergrund. Über 60 Prozent der Patienten können wieder entlassen werden“, räumte er in wenigen Sätzen mit einem immer noch weit verbreiteten Vorurteil auf. Anhand von Patientengeschichten zeigt Miller auf, was alles möglich ist. Patienten, die trotz ihrer schweren Erkrankung noch lachen und glücklich sein können.

Eine junge Frau, schon gezeichnet, die noch geheiratet hat. Eine Jugendliche, die ungeachtet ihrer unheilbaren Erbkrankheit anderen Mut zuspricht (von allen wurde die Erlaubnis zur Veröffentlichung eingeholt). „Unser Auftrag ist es, den Menschen in ihrer schwierigen und oftmals leidvollen Situation einen wärmenden und schützenden Mantel umzulegen“, erklärte Miller. Die tägliche Konfrontation mit der Endlichkeit stellt dennoch für alle eine Herausforderung dar. „Es gibt Tage, da geht es mir gut damit. Es gibt aber auch Schicksale, die mir nahegehen.“ Für Christoph Miller ist es ein gutes Zeichen, „wenn wir Pflegenden noch berührt werden“.

Als Besonderheit der Palliativpflege bezeichnete er das Mehr an Zeit. „Zeit zu haben für Patienten und Angehörige ist für uns Pflegende wie ein Schutzfaktor, vor allem gegen moralischen Stress, denn es erlaubt uns, so zu handeln und zu pflegen, wie es wünschenswert ist und unserem Berufsethos entspricht.“ Patienten können zudem bei ihrem Tagesablauf mitentscheiden. Ehrlichkeit und Respekt den Patienten gegenüber sind für Miller notwendige Haltungen. Für eine umfassende Besserung von belastenden Symptomen sei es wichtig zu verstehen, dass alle Ebenen des Seins eines Menschen untrennbar miteinander verbunden sind. „Es muss jedoch auch bemerkt werden, dass sich nicht alle menschlichen Leiden oder belastenden Symptome sich kontrollieren lassen.“ Was Lebensqualität ausmacht geben immer die Betroffenen vor. Daran orientiert sich die Pflege.  

Berührungsängste abbauen

Otto Gehmacher sprach noch positive Zukunftsperspektiven an. Das mobile Palliativteam soll ausgebaut werden, der palliative Konsiliardienst auf den Akutstationen der Vorarlberger Krankenhäuser kommen. Als gesellschaftlichen Auftrag formuliert er, die Palliative Care bekannt zu machen und Berührungsängste abzubauen.