„Alles verliert an Bedeutung“

Was es heißt, mit einer demenziellen Veränderung konfrontiert zu sein.
Feldkirch G. Feurstein blickt auf ein erfolgreiches Leben als Galerist zurück. Im Alter zog es ihn wieder zurück in seine Heimatstadt Feldkirch. Die Nähe zu seiner Familie half ihm, die Pflegeaufgabe für seinen Lebensgefährten besser bewältigen zu können, und jetzt, mit 81, sieht er sich selbst mit einer demenziellen Veränderung konfrontiert. Scheu, darüber zu sprechen, hat er keine.
Sie haben lange im Ausland gelebt, wo waren Sie zu Hause?
Feurstein Wir haben in Saarbrücken gelebt. Als ich Rolf, meinen Lebensgefährten, kennenlernte, eröffnete er mir die Welt der Kunst und Kultur. Er war Mediziner und hatte einen anderen familiären Hintergrund als ich. Er brachte mir vieles bei. Er war ja elf Jahre älter als ich. Wir waren 40 Jahre lang ein Paar, bis er starb.
Wann und warum sind Sie wieder nach Vorarlberg zurückgekommen?
Feurstein Wir kamen vor 14 Jahren zurück, weil mein Freund schwer krank wurde. Dort, wo wir so lange gelebt hatten, war vieles verändert. Auch wir hatten uns verändert. Am Anfang ist alles Liebe, mit der Zeit wurde es tiefe Freundschaft. Das war uns beide sehr kostbar. Rolf brauchte Pflege. Ich wollte in die Nähe meiner Schwester und ihrer Familie. Das war die richtige Entscheidung. So konnte ich immer wieder ihre Unterstützung in Anspruch nehmen und auch die Galerie Feurstein in Feldkirch eröffnen. Ohne die Galerie wäre mein Leben sehr viel trauriger gewesen, und Rolf war ja gut versorgt zu Hause. Ohne meine Familie wäre das gar nicht gegangen. Vor etwa fünf Jahren erst habe ich die Galerie geschlossen.
Seit wann wissen Sie von Ihrer demenziellen Entwicklung?
Feurstein Die Vergesslichkeit. Ja, die hat sich so eingeschlichen, seit drei oder vier Jahren. Ich bin sehr vergesslich, auch die Orientierung … ich kann in der Stadt sein und in die falsche Richtung nach Hause laufen. Oder wenn ich gefragt werde, wann ist deine Mutter gestorben, dann muss ich mich sehr konzentrieren, bis die richtige Antwort kommt. Ich brauche viel Zeit, und manchmal komme ich noch mit Halbwahrheiten über die Runde.
Wie ist es Ihnen aufgefallen?
Feurstein Das waren ganz belanglose Dinge, die ich vergessen habe. Die kommen auch wieder zurück, aber nicht unbedingt dann, wenn ich sie brauche. Auch das Autofahren wurde schwierig, ich bin in die falsche Richtung gefahren, oder war ohne Vignette auf der Autobahn. Als das passierte habe ich es sofort aufgegeben. Im Haushalt muss ich ein bisschen aufpassen, ist der Herd ausgeschaltet oder nicht? Oft komme ich nochmals zurück und schaue nach. Das sind Sachen, die vergesse ich einfach, oder ich stehe im Garten und denke, es riecht angebrannt … und dann ist es mein Herd, auf dem etwas anbrennt.
Machen Sie sich Sorgen?
Feurstein Ich mache mir große Sorgen. Ich mag nicht mehr – morgens wache ich auf und denke, Mensch, jetzt bin ich schon wieder da. Mir reicht es einfach, diese 81 Jahre, was jetzt noch ist, das bringt ja nichts mehr. Also, ich kann mich schon konzentrieren, aber der Alltag sieht traurig aus. Die Vergesslichkeit ist grausig.
Gibt es einen Arzt, der Sie wegen Ihrer Depressionen behandelt?
Feurstein Ich glaube, da gibt es eigentlich niemanden, der da helfen kann. Wenn ich nicht mehr weiterweiß oder das Gefühl habe, ich kann nicht einschlafen, dann nehme ich Schlaftabletten.
Erinnern Sie sich besser an frühere Erlebnisse?
Feurstein Ja, das von früher ist leichter zu erinnern. Ich flüchte dann in die guten alten Zeiten, aber das ist ja auch ein Selbstbetrug. Ich schaue im Computer, was ich gespeichert habe. Aber das ist eigentlich auch nicht das Richtige, ich versuche, möglichst wenig mit diesen Erinnerungen zu leben. Es tut nicht weh, aber das hält nicht. Mein Leben war ein Geschenk, es war alles da, Freundschaft, Liebe, finanzieller Background, schöne Reisen, tolle Kunst. Nur das Alter … die schlimmste Zeit ist eigentlich jetzt. Das bisschen Luxus hier ist zwar angenehm, aber die Einsamkeit nimmt zu, alles verliert an Bedeutung.
Was würden Sie jemandem empfehlen, der jetzt neu mit Demenz konfrontiert ist?
Feurstein Man braucht jemanden, mit dem man sprechen kann. Das Alleinsein ist am schlimmsten. Wenn Familie da ist, ist das sehr wertvoll.
Ich bin sehr froh, dass Sie so offen sprechen.
Feurstein Da bin ich unkompliziert, ich weiß, was ich falsch mache und versuche, mit mir selbst zurechtzukommen. Meine Gedanken versuche ich zu bearbeiten. Es gab eine Zeit, da war ich sehr sicher – ich war nicht sehr einfach für andere. Ich war auch böse, teilweise. Jetzt bin ich vorsichtiger geworden und auch dankbar, aber ich empfinde vorwiegend Resignation, ich bin voller Unsicherheit und Angst.