Sich per Youtube in den Schlaf triggern

Sogenannte ASMR-Videos boomen – durch bestimmte Geräusche und Bewegungen werden Triggerpunkte ausgelöst.
WOHLGEFÜHL Das Umblättern einer Buchseite, das Schneiden von Papier oder Finger, die sanft über das Kameraauge streifen und die uns zu massieren scheinen. Das alles sorgt für ein angenehmes Gefühl und Kribbeln im menschlichen Körper und hilft beim Einschlafen. Darauf schwört zumindest die „ASMR-Gemeinde“, die sich via Internet immer weiter vergrößert. Auf Youtube gibt es mittlerweile Tausende von Videos, bei denen ASMR in allen Variationen angeboten werden. Das englischsprachige Akronym ASMR steht für „Autonomous Sensory Meridian Response“ und bedeutet übersetzt so viel wie „autonome sensorische Meridianreaktion“. Der wissenschaftliche Begriff beschreibt ein entspannendes Gefühl, eine Art Kribbeln, das von der Kopfhaut ausgehend sich auf dem ganzen Körper ausbreitet und uns in einen tiefenentspannten Zustand versetzt, der schließlich zum Einschlafen führt. Man triggert sich sozusagen in den Schlaf. Kopforgasmus oder „Ohrgasmus“ wird das Phänomen auch noch bezeichnet. Es beginnt als Kribbeln am Scheitel und breitet sich über die Wirbelsäule und die Arme auf den restlichen Körper aus, sagen die Menschen, die es erleben. Typische Trigger sind etwa Flüstern, Geräusche mit den Fingernägeln erzeugen, sich mit den Fingern durch die Haare streifen, eine Dose öffnen oder mit einem Pinsel über das Mikro streichen.
Bestimmte Geräusche
Die Methode ist nicht neu, auch Bob Ross hat seinerzeit mit seinen live im Fernsehen gemalten Landschaftsbildern („The Joy of Painting“) und seiner flüsternden Stimme einst das Fernsehpublikum in absolute Entspannung versetzt. Mittlerweile hat ASMR aber vor allem durch Youtuberinnen, die sich darauf spezialisiert haben, eine immer größere Anhängerschaft gefunden. Zu den einflussreichsten Personen der ASMR-Szene zählt beispielsweise die Russin Maria Viktorovna („Gentle Whispering“, die mehr als zwei Millionen Follower hat. Auch die Amerikanerin Ozley zählt zu den beliebtesten Gesichtern. Wer sich lieber deutschsprachig in den Schlaf flüstern lässt, kommt bei Pelagea auf die Rechnung.
Ein Versuch wert
Aber natürlich ist auch hier die Web-Community gespalten, ob ASMR tatsächlich hilft oder nur die Kassen einiger Youtuber füllt. 2018 haben Psychologinnen der University of Sussex das Phänomen an 280 Probanden untersucht. Während eines ASMR-Videos sank ihre Herzfrequenz deutlich. Ein Anzeichen für Entspannung. Allerdings schwitzten die Teilnehmenden auch mehr, was auf eine erhöhte emotionale Erregung hindeutete. Eine Kombination, die die Forscherinnen erstaunen ließ. „ASMR scheint gleichzeitig zu aktivieren und zu beruhigen. Das ist auch bei anderen komplexen emotionalen Erfahrungen wie Nostalgie oder Ehrfurcht der Fall“, so ihr Resümee. Ob das Entspannungsritual als solches funktioniert, hängt auch vom persönlichen Geschmack ab. Nicht jeder ist für ASMR zugänglich. Entsprechend gibt es sogar Selbsttests in Form von Internet-Videos, bei denen eine etwaige Reaktionsfreudigkeit auf die ASMR-typischen Geräusche überprüft werden kann. Einen Versuch, ob es wirkt, ist es auf alle Fälle wert. Manchmal hängt es auch davon ab, die richtige Person oder das richtige Video zu finden. Faktisch geht es darum, für einen erholsamen Schlaf die richtigen Entspannungstechniken und das Herunterkommen vom Alltag zu finden. Freilich ist dies auch „offline“ möglich. Meditation oder Yoga vor dem Schlafengehen können ebenfalls der Entschleunigung dienen. Fixe Rituale vor dem Schlafengehen wirken sich ebenso beruhigend aus. Letztlich geht es ums Experimentieren.