Was die Jugend unter Druck setzt

ifs Sozialberatungsstelle: „Nicht nur Belastung und Stress sind gestiegen.“
BLUDENZ Stress, Überforderung, Langeweile – zwei Drittel der jungen Österreicher fühlen sich schlecht. Ja, wegen Corona.
Wie eine Umfrage unter 2500 Personen zwischen 14 und 24 Jahren ergab, leiden viele auch unter Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Die VN haben mit Michael Simon, Dipl. Sozialarbeiter bei der ifs Sozialberatungsstelle Bludenz, und Mag. Stefan Gießauf, Dipl. Pädagoge bei ifs Streetwork Mühletor, gesprochen und wollten wissen: Stimmt das?
Glaubt man diversen Studien, müsste Ihr Telefon Sturm läuten …
Gießauf Es ist gefühlt schon so, dass in letzter Zeit mehr Kontakt mit Schulen bzw. Jugendlichen stattfindet. Ob das tatsächlich mit der Coronakrise zusammenhängt, können wir nicht sagen.
Simon Dazu haben wir keine absoluten Zahlen. Die Anmeldungen speziell für die Jugendberatung sind konstant hoch. Was nicht heißen soll, dass die Jugendlichen generell viele Probleme haben. Viel mehr liegt es daran, dass die Jugendberatung sowie unsere Netzwerkpartner gut etabliert und vernetzt sind.
Zeigen sich die Probleme in Bezug auf Corona eher in der Beratung?
Gießauf Ja, es ist sowohl bei den Eltern als auch bei den Jugendlichen eine Überforderung in Bezug auf die Coronasituation zu spüren, und wir bekommen vermehrt Anfragen deswegen. Allerdings muss man betonen, dass selten die Krise der Auslöser ist. Oft waren Probleme schon vorhanden, die durch die Coronasituation noch verstärkt worden sind. Aber nicht nur Belastung und Stress sind gestiegen. Auf der anderen Seite sind auch Ventile, wie zum Beispiel soziale Kontakte oder Sportvereine, weggefallen. Da wird es schwierig, Möglichkeiten zu finden, um Stress und Druck abzubauen. Daher kommt es häufiger zu Konflikten.
Simon Diese Not der Jugendlichen lässt sich vielleicht besser, wenn auch abstrakter erklären, wenn man sich die Entwicklung anschaut: Ein junger Mensch hat etwa vier Jahre Zeit, um jugendlich zu sein – und das Leben ist seit zwei Jahren auf Pause geschaltet. Das ist wertvolle Zeit, die verloren geht. Dieses Entwickeln, das Reiben mit dem Umfeld und Gleichaltrigen, ausgehen, sich ausprobieren, Leute kennenlernen, sich vernetzen – das bekommen sie nicht zurück.
Hat sich nach zwei Jahren nicht schon eine Routine eingestellt?
Gießauf Es ist schwierig, in eine Routine zu kommen, wenn sich die Umstände laufend ändern. Gerade politisch wird nach wie vor immer wieder Neues vorgegeben. Und selbst wenn, bleibt im Hinterkopf die Frage: Wie geht es weiter?
Vor allem Jugendliche, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen, stellen sich wohl diese Frage.
Gießauf Absolut. Da herrscht große Unsicherheit. Wir merken vor allem, dass sie mehr Informationen brauchen – und Rückhalt.
Simon Vor allem Jugendliche im Abschlussjahr sind häufiger überfordert. Das ist immer eine Phase, die extrem ist. Aber so haben wir das noch nie erlebt. Die Betroffenen kommen mit Panikattacken zu uns, haben Herzrasen oder wachen schweißgebadet auf. Das ist mehr als nur Prüfungsangst.
Soziologen sprechen diesbezüglich von einer „Generation Corona“.
Gießauf Ob wir eine Generation Corona haben, ist schwer zu prognostizieren. Das hängt von den Erziehungs- und vertrauensbildenden Maßnahmen ab und welche positiven Erlebnisse die Jugendlichen bis Corona erlebt haben.
Simon Ich bin immer skeptisch, wenn jemand sagt: Das ist es. Wir müssen uns erst die Ausgangssituation ansehen und dann schauen, wohin es uns geführt hat, welche Ressourcen uns zur Verfügung stehen. Erst dann kann man die richtige Prognose stellen. Dass die Krise eine Belastung ist, wissen wir.
Kann die Krise noch eine Chance sein?
Gießauf Vielleicht. Gerade am Anfang der Krise hat man Vorteile gesehen, als das Leben entschleunigt wurde. Die Leistung wird mittlerweile trotzdem gefordert.
Simon Ob wir über ein Desaster oder eine Chance diskutieren, da geht es uns wie allen: Hinterher werden wir klüger sein.