Vom Spinnrad zur Krippe – Die Industriegeschichte des Gütle in Dornbirn

Was als abgelegenes Seitental begann, wurde durch die Vision von Franz Martin Hämmerle in den 1860er-Jahren zu einem der modernsten und geschlossensten Industriestandorte Österreichs. Heute treffen im Gütle Industriegeschichte, Kultur und Natur aufeinander – und erzählen gemeinsam eine einzigartige Vorarlberger Erfolgsgeschichte.
Dornbirn Als Franz Martin Hämmerle 1862 das abgelegene Gütle als Standort für seine neue Spinnerei auswählte, staunten viele Dornbirner: Das Gelände lag rund vier Kilometer vom Ortszentrum entfernt, mitten in waldreicher, feuchter Tallage – weitab von der städtischen Infrastruktur. Doch gerade diese vermeintlichen Nachteile machten das Gütle ideal für die Baumwollverarbeitung: ausreichend Wasserkraft, hohe Luftfeuchtigkeit – und mit Hämmerles Weitsicht bald auch die nötige Infrastruktur.

Gasthaus und erstes Telefon
In einem damals unüblichen Schritt ließ Hämmerle innerhalb weniger Jahre ein in sich geschlossenes Fabriksensemble errichten – mit Fabriksbauten, einem Gasthaus, Arbeiterwohnhäusern und sogar einer Fabrikantenvilla. Die Spinnerei nahm 1864 mit über 11.000 Spindeln ihren Betrieb auf. Bereits drei Jahre später wurde eine Hochdruck-Wasserkraftanlage installiert, die neue Maßstäbe in der Energieversorgung setzte. Selbst die Erschließung durch die Rappenlochschlucht – heute beliebtes Wandergebiet – diente ursprünglich rein technischen Zwecken. Hämmerles Innovationsgeist zeigte sich auch in weiteren Details: Die Shedhallen boten erstmals optimale Lichtverhältnisse für eine horizontal organisierte Produktion. 1881 wurde zwischen dem Gütle und dem Stammhaus in der Kirchgasse das erste Ferntelefon der Monarchie in Betrieb genommen – persönlich freigeschaltet von Kaiser Franz Joseph.


Gelebte Transformation
Bis in die 1990er-Jahre blieb die Spinnerei im Betrieb, ehe der Standort 1992 im Zuge der Textilkrise stillgelegt wurde. Doch das Gütle fiel nicht in den Dornröschenschlaf: Heute ist das ehemalige Fabriksareal Heimat des Krippenmuseums im Glockenturmhaus der einstigen Betriebsfeuerwehr, beherbergt ein kleines Laufkraftwerk und zieht mit dem Gasthaus Gütle sowie dem nahegelegenen Kulturzentrum Conrad Sohm Ausflügler und Kulturliebhaber an. So steht das Gütle heute für gelebte Transformation: Vom Vorzeigeprojekt industrieller Moderne zum lebendigen Ort der Begegnung, der Geschichte und Gegenwart in spezieller Weise verbindet. MEC


