Ein Industrieschloss im Auwald

Wie die Hämmerle-Spinnerei in Gisingen ein Dorf veränderte.
Feldkirch Als F. M. Hämmerle 1888 beschloss, in Gisingen eine neue Spinnerei zu errichten, war das mehr als ein weiterer Fabriksbau im boomenden Vorarlberger Textilzeitalter. Die Dornbirner Firmendynastie suchte nach einem Standort mit verlässlicher Wasserkraft – und fand ihn an der Ill, wo die Gemeinde Altenstadt wenig später ein 20-Hektar-Grundstück verkaufte. 1892 begann der Bau, 1894 produzierten die Ringspinnmaschinen das erste Garn: modern, lichtdurchflutet und leistungsstark. Bald arbeiteten rund 400 Menschen in der neuen Fabrik, die zur stärksten Spinnerei des Landes aufstieg. Das Gebäude selbst war ein Statement. Hinter der neoklassizistischen Schaufassade öffnete sich ein sachlicher Industrieorganismus aus Shedhallen, Kraftwerk, Wasserturm und Kesselhaus – entworfen von Baumeister Joseph Anton Albrich und dem Schweizer Fabriksplaner Carl-Arnold Sequin-Bronner. Die Fabrik galt mit Belüftung, hellen Sälen und einer Ausstattung als Vorzeigeprojekt.

Sozialprogramm mit Kindergarten
Gisingen war kein gewachsener Industrieraum. Die Arbeiter – viele aus dem Trentino – mussten erst angesiedelt werden. Hämmerle reagierte mit einem einzigartigen Sozialprogramm: Direkt vor den Toren entstand ab 1894 eine Wohnsiedlung mit Direktorenvilla, Beamtenhäusern, Meisterwohnungen und einer “Kolonie” aus elf Arbeiterhäusern. Jede Wohnung erhielt einen Garten, es gab Waschküche, Werksküche, Spielplätze, Parkanlagen und ab 1908 einen Betriebskindergarten. Die Badeanstalt im Fabriksgebäude sorgte wöchentlich für Hygiene – ein Fortschritt, der weit über regionale Standards hinausging.

Eigene Werksbahn
Auch infrastrukturell setzte die Spinnerei Maßstäbe. Die verkehrstechnisch abgelegene Lage hinter dem Ardetzenberg machte den Bau der Hämmerlestraße notwendig – und einer elektrischen Werksbahn, der ersten normalspurigen E-Bahn der Donaumonarchie, die Rohbaumwolle und fertige Garne transportierte. Ein Foto aus der Zeit hat F. M. Hämmerle Holding-Archivar Dr. Dieter Petras gefunden, allerdings: “Künstler und Datierung sind unbekannt”, sagt er. Krisen, Kriege und wirtschaftliche Erschütterungen überstand der Standort recht stabil. Während des Ersten Weltkriegs wurde eine Granatendreherei einquartiert, im Zweiten Weltkrieg entstand im Auwald ein Zwangsarbeiterlager, dessen Baracken später als Wohnungen dienten. Doch die Spinnerei arbeitete weiter – bis der Druck auf die Textilindustrie im 21. Jahrhundert stärker wurde. 2016 stellte Hämmerle die Produktion ein.

Neues Zentrum
Seit 2024 läuft ein kooperativer Planungsprozess, der das 74.500 Quadratmeter große Areal in ein zeitgemäßes Zentrum für Wohnen, Arbeiten und Freizeit transformiert. Kraftwerk und Halle 1 stehen unter Denkmalschutz, die Spuren der industriellen Blütezeit bleiben sichtbare Bezugspunkte. Wo einst Maschinen im Takt der Ill dröhnten, entsteht ein Zukunftsraum – getragen von der langen Geschichte, die Gisingen geprägt hat. Fakten: Fläche gesamtes Hämmerle-Areal ca. 74.500 Quadratmeter, Fläche Spinnerei inkl. Freiflächen ca. 28.000 Quadratmeter, derzeitiger Verwendungszweck Lagerflächen.













