Als die Samina das Dorf verwandelte

Wie Frastanz im 19. Jahrhundert zum Industriebrennpunkt wurde – und ein Unternehmen das Dorfleben prägte wie kein zweites.
Frastanz Wer Frastanz heute durchquert, ahnt kaum, wie sehr die Gemeinde am Ausgang des Saminatals einst von der Kraft ihrer Flüsse geprägt wurde. Samina und Ill machten den Ort bereits früh zu einem begehrten Standort für Mühlen und kleine Gewerbebetriebe. Doch Anfang der 1820er-Jahre begann sich hier ein industrieller Wandel anzudeuten, wie er in Vorarlberg kaum ein zweites Mal derart zu beobachten war. Den ersten großen Schritt setzte die Türkischrotfärberei der Firma Getzner, Mutter & Cie. im Ortsteil Felsenau. Mit ihr hielt 1823 die industrielle Textilverarbeitung Einzug. Wenige Jahre später entstand dort eine Seifensiederei, die der Feldkircher Unternehmer Andreas Schatzmann ab 1863 zu einer weithin sichtbaren Leim- und Seifenfabrik, direkt an der Ill, ausbaute.

Industrieller Organismus
Im Zentrum des Dorfes wiederum legten Carl Ganahl und Fidel Wohlwend 1835 mit einer Baumwollspinnerei den Grundstein für jenes Industrieimperium, das Frastanz über Jahrzehnte prägen sollte. Fast zeitgleich gründete die Feldkircher Firma Grassmayr eine zweite Spinnerei an der Ill, später als Untere Fabrik bekannt. Als Ganahl 1843 eine eigene Türkischrotfärberei und Druckerei errichtete – aus der schließlich die Papierfabrik Rondo Ganahl hervorging – übernahm er auch diese zweite Anlage. Schritt für Schritt kaufte er kleinere Betriebe, deren Wasserrechte sowie die Leitungen und Kanäle entlang des Mühlebachs. Frastanz wurde zu einem industriellen Organismus, in dessen Zentrum ein einziger Unternehmer die entscheidenden Ressourcen kontrollierte.
Wasserschloss
Doch nicht alles entglitt der lokalen Gemeinschaft: 1909 gründete eine Genossenschaft kleiner Gewerbetreibender ein eigenes Kraftwerk in der Saminaschlucht, das „Wasserschloss“ am Eingang des Tals ist bis heute sichtbares Relikt. Der Mühlebach hingegen, einst wirtschaftliche Lebensader und Symbol der frühen Industrialisierung, verschwand im Laufe des 20. Jahrhunderts vollständig aus dem Ortsbild. Die Industrialisierung veränderte Frastanz tiefgreifend. Zwischen 1823 und 1910 stieg die Einwohnerzahl von rund 900 auf über 2.300 Menschen. Ab den 1880er-Jahren kamen Arbeiter aus dem Trentino hinzu – eine Migration, die das soziale Gefüge zusätzlich verschob.

Schatten überm Dorf
Ganahl erwarb Häuser, richtete Werkswohnungen ein, besaß große Waldflächen und betrieb sogar eine eigene Landwirtschaft. Der Einfluss des Unternehmens war so umfassend, dass Adalbert Welte ihn 1953 in seinem Roman „Schatten überm Dorf“ literarisch verarbeitete – eine eindrückliche Beschreibung eines Ortes, dessen Leben sich weitgehend nach den Interessen eines einzigen Industriebetriebs richtete. Kurzzeitig erlebte Frastanz auch eine Blüte der Stickereiindustrie, doch diese blieb im Dorf stets Nebenrolle. Nachhaltiger war die Gründung der Genossenschaftsbrauerei 1902, die – anders als die meisten Textilbetriebe – bis heute existiert. Bis in die Gegenwart hinein erinnern die Obere Spinnerei an der Samina und die Nebengebäude auf dem Areal daran, wie zentral die Industrie einst das Dorf prägte. MEC