Vom Lünersee in die Fabrik

Heimat / HEUTE • 08:37 Uhr
Lünerseefabrik gegen Norden mit Arbeiterwohnhäusern in der Bürserallee 1890. Foto zentralarchiv Mutter Getzner & Cie
Lünerseefabrik gegen Norden mit Arbeiterwohnhäusern in der Bürser Allee 1890. Zentralarchiv Mutter Getzner & Cie

Wie die Lünerseefabrik in Bürs mit Wasserkraft den Walgau prägte.

Bürs Als Getzner, Mutter & Cie. im Jahr 1835 in Bürs ein Grundstück erwarben, folgte das Unternehmen einer klaren Logik der frühen Industrialisierung: Wasser bedeutete Energie, und der Alvierbach, gespeist aus dem Lünersee, versprach eine außergewöhnlich konstante Versorgung. Nach der Spinnerei in Nenzing und der Türkischrotfärberei in Frastanz-Felsenau entstand hier ein weiterer Baustein eines rasch wachsenden Textilunternehmens, das den Walgau nachhaltig verändern sollte.

Die Lünerseefabrik 2013. Foto Böhringer.
Die Lünerseefabrik im Jahr 2013. böhringer

Überragende Anlage

Bereits Anfang der 1840er-Jahre überragte die Lünerseefabrik mit ihren Dimensionen alle bis dahin in Vorarlberg errichteten Industrieanlagen. Der sechsgeschossige Fabrikbau mit zwanzig Fensterachsen an der Längsseite und ausgebautem Dachgeschoss folgte einer schlichten, funktionalen Industriebauweise. Hinter der nüchternen Fassade arbeiteten Spinnerei und Weberei Seite an Seite. Um das Hauptgebäude gruppierten sich im Laufe der Jahrzehnte Nebengebäude, Werkstätten und neu angelegte Kanäle. In den frühen 1920er-Jahren kam es zu einem ersten tiefen Einschnitt: Die Spinnerei wurde stillgelegt, während die Weberei den Betrieb fortsetzte und erst in den späten 1970er-Jahren endgültig schloss.

Bürs - Lünerseefabrik, Lünerseepark und Getzner Werkstoffe 2016 Foto volare
Bürs – Lünerseefabrik, Lünerseepark und Getzner Werkstoffe 2016. Foto volare

Funkgeräte und Handgranaten

Noch einschneidender waren die Jahre des Zweiten Weltkriegs. Ab 1940 richtete die Stadt Bludenz in den oberen Stockwerken ein Kriegsgefangenenlager ein, zwei Jahre später folgte ein Zwangsarbeiterlager. 1944 kam ein Rüstungsbetrieb hinzu, in dem Funkgeräte und Teile für Handgranaten gefertigt wurden – ein dunkles Kapitel der Fabrikgeschichte. Nach 1945 kehrte der Betrieb zur Textilproduktion zurück. Teile der Anlage wurden modernisiert, neue Sparten wie die Nähfadenerzeugung und eine Stoffdruckerei aufgebaut, jedoch bald wieder aufgegeben. Länger Bestand hatte die 1963 begonnene Bettwäschekonfektionierung, die der Fabrik noch einmal eine wirtschaftliche Perspektive eröffnete.

Mädchenheim Bürs 2013. Foto Böhringer
Das Mädchenheim in Bürs 2013. Böhringer

Schlafen auf dem Dachboden

Wie viele Industriebetriebe jener Zeit prägte auch die Lünerseefabrik das soziale Gefüge ihres Umfelds. In Bürs reichte das Spektrum der Arbeiterunterkünfte von angekauften und adaptierten Wohnhäusern bis zu gezieltem sozialem Wohnbau. Besonders markant war das 1871 errichtete Mädchenheim – eines der ersten Kosthäuser dieser Art in Vorarlberg. Der ursprüngliche Bau bot Platz für 30 bis 40 junge Arbeiterinnen, eine Erweiterung um 1884 mit ungewöhnlich quadratischen Seitentrakten erhöhte die Kapazität auf rund 70 Personen. Zeitzeugen berichten jedoch von massiver Überbelegung, bei der selbst Dachböden als Schlafplätze dienten. Mit dem Autobahnbau, der Zuschüttung des Illkanals und der Ansiedlung neuer Betriebe zwischen Bürs und Bludenz kam es Ende der 1980er-Jahre zu tiefgreifenden räumlichen Veränderungen. Viele Arbeiterwohnhäuser entlang der Bürser Allee, am Bergheimweg oder in der Herrenau verschwanden. Die Lünerseefabrik selbst blieb als bauliches Zeugnis erhalten. Die Lünerseefabrik ist heute ein vielseitiger Standort, der moderne Gastronomie und Events mit historischen Industriebauten verbindet. MEC