Honeck kämpft um Weiterbestand seines Orchesters

Er habe viel Zeit zum Nachdenken, meint Manfred Honeck, Direktor des Pittsburgh Symphony Orchestra.
SCHWARZACH, PITTSBURGH Das renommierte amerikanische Pittsburgh Symphony Orchestra, dem der Vorarlberger Dirigent Manfred Honeck seit 2008 erfolgreich als Musikdirektor vorsteht, ist durch die Coronakrise mit stornierten Konzertterminen in eine ernsthafte budgetäre Schieflage geraten. Gemeinsam mit seinen 99 Musikern kämpft Honeck im Moment ums Überleben.
Wie sieht die finanzielle Situation ohne Konzerteinnahmen derzeit in Pittsburgh aus?
Das Coronavirus trifft alle amerikanischen Orchester sehr heftig, so auch Pittsburgh. Einnahmen aus Konzerten fallen aus, da alle Termine storniert wurden, die Musiker und die Angestellten müssen aber weiterbezahlt werden. Anders als in der MET, können (und sollen) die Musiker nicht gekündigt werden. Vom Staat erhalten wir kein Geld, die Organisation wird durch private Mittel gestützt, um die ich mich neben meiner künstlerischen Tätigkeit persönlich im Auftreiben von Sponsoren bemüht habe. Das Defizit ist erheblich.
Gibt es genügend finanzielle Reserven, um über diese Krise zu kommen?
Noch gibt es Rücklagen, die aber so ziemlich bald aufgebraucht sein könnten. Es wurden bereits Maßnahmen getroffen. Die Musiker verzichten freiwillig auf 10 bis 20 Prozent ihres Gehalts, der CEO und ich auf 25 Prozent, andere Angestellte wiederum ca. 20 Prozent. Jeder trägt etwas bei. Die Sponsoren halten uns Gott sei Dank die Treue. Auch die bereits gekauften Tickets werden vom Publikum großteils nicht zurückgefordert, um das Orchester zu unterstützen. Und der Verkauf der Abonnements für die nächste Saison läuft trotz des Lockdowns recht gut. Da wir jedoch noch nicht wissen, wie lange diese Krise anhält, könnten noch weitere schmerzhafte Einsparungen folgen. Das verunsichert doch, da wir gewohnt sind, weit über zwei bis drei Jahre im Voraus zu planen.
Gibt es in den USA auch so etwas wie Kurzarbeit, um besser über die Runden zu kommen?
Die Angestellten arbeiten momentan in den eigenen vier Wänden. Kurzarbeit ist in Amerika aber eher unüblich. Man kürzt die Gehälter oder entlässt vorübergehend die Mitarbeiter, wie es an der MET passiert ist.
Wie ist die Stimmung unter den Musikern? Wird noch geprobt, auch wenn es derzeit keine Konzerte gibt?
Die Stimmung ist meiner Einschätzung nach gut, auch wenn sie schwer einzufangen ist. Man ist gespannt, wie es weitergehen wird. Ein Musiker möchte Musik machen und auf der Bühne stehen, dafür und davon lebt er. Wenn ihm das verwehrt wird, leidet er. Mir geht es ebenso. Proben finden nicht statt, da es Social Distancing gibt. Es ist unmöglich, ein Orchester mit eineinhalb Metern Abstand pro Musiker auf der Bühne unterzubringen. Das Zusammenspiel, das klangliche Ergebnis würde beim besten Willen nicht funktionieren.
Wie sieht die Zukunft des Orchesters aus?
Wir wollten diesen Sommer zu den wunderbaren Festivals in Europa reisen. Diese Tournee war ein wichtiger Bestandteil unserer Aktivitäten zum 125-jährigen Jubiläum. Leider wurden Festivals wie Luzern, Prag, Schleswig-Holstein u. a. abgesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Pittsburgh Symphony Orchestra diese Tournee wird wahrnehmen können. Ansonsten hängt die Zukunft des Orchesters von der finanziellen Entwicklung der nächsten Jahre ab. Ein wichtiger Faktor wird sein, ob unser Publikum in Pittsburgh und überall auf der Welt nach dieser Phase der Entwöhnung bereit ist, sofort wieder Konzerte zu besuchen.
Wie ist Ihre persönliche Situation?
Mir geht es gut, wenngleich mich die wirtschaftliche Lage insgesamt und speziell der zahlreichen freischaffenden Künstler, die ohne festes Einkommen leben, sehr besorgt. In meiner Funktion beziehe ich nur dann ein Gehalt, wenn ich dirigiere. Ich habe daher jetzt viel Zeit für meine Familie und zum Nachdenken. Und ich habe Hoffnung. Vielleicht ist dieses „Ritardando“, in dem wir uns befinden, ein fließender Übergang in ein schönes Adagietto, um es musikalisch zu benennen. Fritz Jurmann
Zur person
Manfred Honeck
Geboren 17. September 1958 in Nenzing
Ausbildung Studium Violine und Viola an der Wiener Musikuni, Assistent von Claudio Abbado
Tätigkeit ab 1983 Bratschist der Wiener Philharmoniker, Dirigent des Jeunesse-Orchesters Wien, Erster Kapellmeister am Opernhaus Zürich, Chefdirigate bei Orchestern in Leipzig, Oslo, Stockholm, Staatsoper Stuttgart, seit 2008 Chefdirigent in Pittsburgh mit zahlreichen Tourneen und CD-Produktionen, Gastdirigate in Europa und den USA, seit 20 Jahren künstlerischer Leiter der Wolfegger Konzerte
Auszeichnungen 1993 Europäischer Dirigentenpreis, Ehrendoktorat div. US-amerikanischer Universitäten, ECHO-Klassik, Grammy, 2018 „Artist of the year“ des Int. Classical Music Award
Familie verheiratet, sechs Kinder, lebt in Altach