Erst klicken, dann kommt die Kunst

Kultur / 23.05.2020 • 16:00 Uhr
Erst klicken, dann kommt die Kunst
Arbeit des Künstlerduos Müller-Divjak in der neuen Ausstellung der Vorarlberger Künstlervereinigung. AG

Die virtuelle Ausstellung der Mitglieder der Vorarlberger Künstlervereinigung thematisiert, was wir brauchen.

BREGENZ „Wollen“ wird ja gemeinhin häufig mit „Brauchen“ verwechselt und kreiert eine sich immer weiter nach oben schraubende Spirale von Bedürfnissen und unersättlichen Verzehrens. Was aber brauchen wir jenseits dieses Immer-Mehrs in der aktuellen Lage wirklich? Erstaunlich wenig, an materiellen Dingen, wie viele von uns in den letzten Wochen festgestellt haben, unglaublich viel aber auf emotionaler, intellektueller und menschlicher Ebene, wie wir schmerzlich vermisst haben. Mit der Frage nach dem „Brauchen“ befasst sich auch die erste virtuelle Mitgliederausstellung der Berufsvereinigung Bildender Künstlerinnen und Künstler Vorarlbergs.

Systemrelevanz von Kunst

75 Positionen, Zeichnungen, Grafik, Malerei, Videos, Skulptur, Objekte und Keramik von „A“ wie Aberer bis „Z“ wie Zwiener, darunter drei Duos, sind auf Klick auf der Website des Künstlerhauses sowie auf Facebook und Instagram abrufbar und natürlich auch zu erwerben. So gut wie Ruben Aubrecht, radikal, subversiv, vieldeutig, unprätentiös und zugleich souverän, bringt es wohl niemand auf den Punkt: „Das braucht wirklich niemand.“ steht da auf einem weißen DIN A4-Blatt, mit Schreibmaschine getippt, nummeriert und signiert vom Künstler. Der Preis der Edition (0,- Euro zuzüglich Versandkosten) lässt schmunzeln, hinterlässt aber auch einen bitteren Nachgeschmack. Ebenso wie die Frage nach der Systemrelevanz von Kunst, die Heide C. Heimböck aufwirft oder das Unikat von Christian Helbock, der das abschlägige Antwortschreiben der Wirtschaftskammer Wien auf sein Ansuchen zum Härtefall-Fonds zum Kunstwerk erhebt. „So wie Helbock ergeht es diesen Tagen vielen Kunstschaffenden. Viele fallen durch den Rost und zwischen die Töpfe“, erklärt Maria Simma. „Es kann doch nicht sein, dass Künstlerinnen und Künstler zu Bittstellern werden“, sagt die Präsidentin der Berufsvereinigung und „Wir tun, was immer möglich ist.“ So wird das vorhandene Budget in Form von Honoraren an die teilnehmenden Mitglieder ausgezahlt – wahrlich kein Reibach für diese, aber ein wichtiges Signal.

Illusion und Zynismus

Marbod Fritsch stellt ein Fragezeichen hinter das „Brauchen“, wenn die mittels Siebdruck auf Alu gebrachten Begriffe wie Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Unterstützung, Sex etc. von dem Wort „Illusion“ überlagert werden. Bei Roland Adlassnigg stecken „Glaube und Hoffnung“ in einem Schnapsaltar, während Lisa Althaus in ihrer Grafik „Kunst braucht Freiheit, keine Agenda“ konstatiert. Neben eigens für die Schau produzierten Werken sind auch ältere, aber inhaltlich aktuelle Arbeiten am Start.

Maria Anwander revitalisiert mittels Sprühschablone eine Textarbeit von 2013, in der der berühmte, fälschlicherweise Marie Antoinette zugeschriebene Zynismus „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“ zu „Wenn wir kein Brot mehr haben holen wir uns eure Kuchen“ wird. Auch Hubert Dobler ist bereits 2017 zu dem Schluss gekommen, dass es nur das Notwendigste braucht: zwei batteriebetriebene Bohrmaschinen, einen Metallstift, vier Gummibänder, drei Kabelbinder, einen Knallkörper, tausend weiße Federn, ein Feuerzeug und viel Mut – fertig ist die Arbeit „Readyforbattle3“, als Duell zweier Bohrmaschinen.

Das letzte Hemd

Nicht „Wie geht es dir?“, sondern „Did you eat already?“ lautet die Begrüßungsformel in Südostasien. Diese Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse, die das in einem Gewächshaus stehende Duo Mueller-Divjak verbunden mit der Frage nach Nahrung aufnimmt, beinhaltet aber viel mehr, nämlich Höflichkeit und ein Gefühl des Willkommenseins. „Das letzte Hemd“, das Jeannette Frei aus grobem Leinen handgenäht hat, hat keine Taschen, während Evamaria Müller in ihrem Video aus dem am Ill entstandenen Fieldrecording-Projekt „Eile“ den Fluss als Metapher für den Lebensweg sieht und hört.

Nüchtern-pragmatisch Peter Lederers Statement „Wenn die Leute Kunst brauchen zahlen sie dafür“ auf einer nostalgischen Aufnahme zweier Damen, während Marko Zink während der Quarantäne alle Kunst entfernt und die Leerstellen und Staubreste an den Wänden fotografiert hat. „Missing but not missed“ lautet denn auch seine eigens zum Thema entstandene Feststellung: Kunst und Kultur werden zwar vermisst, aber offenbar von niemandem gebraucht. Wirklich nicht? Am besten einfach durchklicken unter www.kuenstlerhaus-bregenz.at/brauchen und selber entscheiden, was man braucht und was man will. Ariane Grabher

Die Ausstellungen im Künstlerhaus wurden bis 21. Juni verlängert, geöffnet Do bis Sa von 14 bis 18 Uhr, So und Feiertag von 11 bis 17 Uhr.