Die Essenz des Traumas

Kultur / 26.05.2020 • 18:42 Uhr
Margolles setzt sich mit dem Schicksal marginalisierter Gruppen auseinander. ap
Margolles setzt sich mit dem Schicksal marginalisierter Gruppen auseinander. ap

VN-Bildbetrachtung: Teresa Margolles thematisiert Ausgrenzung und Krieg.

Wien Dunkle Flecken überziehen das Tuch. In der Mitte, dort wo die Flecken am dunkelsten sind, verzieren gestickte Schmetterlinge und Blumen das schmutzige Tuch. Es ist ein Leintuch, das unter dem toten Körper einer 2014 ermordeten Frau lag, die nach einer Autopsie gewaschen wurde. Das 105 x 150 cm große Tuch wird in der Ausstellung in einer Leuchtbox von hinten angestrahlt. „Das Werk hat eine starke und unmittelbare Wirkung auf den Betrachter. Ein Effekt, der durch viele von Teresa Margolles Werken ausgelöst wird“, erklärt Severin Dünser, Kurator im Belvedere 21 in Wien.

Das Trauma des Krieges

Die Frau, deren lebloser Körper auf dem Tuch lag, wurde in Nicaragua ermordet. Fast die Hälfte der Frauen leiden dort unter häuslicher Gewalt. Einer der Gründe dafür sind die Nachwirkungen des sogenannten Contra-Krieges, der von 1981 bis 1990 das Land zerstörte und die Bevölkerung schwer traumatisierte. Nachdem 1979 die „Sandinistas“, eine linke Guerilla Organisation die Macht übernommen hatten, unterstützte die US-Regierung massiv rechte politische Kräfte, insbesondere Mitglieder der ehemaligen Nationalgarde. Der daraus resultierende blutige Bürgerkrieg kostete circa 14.000 Menschen das Leben. Margolles beauftragte Stickerinnen aus Nicaragua das Leichentuch dieser Frau mit traditionellen Stickereien zu verzieren. Das Werk trägt den Namen „Als die meisten von uns Sandinisten waren“.

Gewalt und Tod sind ein wiederkehrendes Thema in den Werken der 1963 in der nordmexikanischen Provinz Sinaloa geborenen Künstlerin. Mal sammelt sie Glassplitter aus einer Schießerei zwischen rivalisierenden Drogengangs und stellt daraus Schmuck her, mal gießt sie den Schlamm des Rio Grande zu Ziegelsteinen. Sie stehen für die zahlreichen mexikanischen Migranten, die beim Grenzübertritt in die USA ertranken. Besonders eindringlich war laut Dünser ihre Seifenblasen-Installation bei der Art Basel 2004. Margolles ließ Seifenblasen von der Decke des Ausstellungsraums herunterschweben. Die verspielte Atmosphäre ist aber nicht von Dauer. Erst im Inneren des Raumes erfährt man, dass das Wasser für die Seifenblasen zum Waschen von Leichen verwendet wurde. „Es ist eine sehr poetische Installation. So wie von der Seifenblase, die am Boden zerplatzt, bleibt auch irgendwann vom menschlichen Körper nichts mehr übrig“, erklärt Dünser.

Margolles zieht den Betrachter in den Bann, um ihn dann mit der Realität zu konfrontieren. Ihre Werke holen die Essenz aus einem gesellschaftlichen Trauma heraus und zwingen den Betrachter, sich damit auseinanderzusetzen. Jal

Margolles verarbeitet konkrete gesellschaftliche Ereignisse in ihrer Kunst und setzt sich mit dem Schicksal marginalisierter Gruppen auseinander.
Margolles verarbeitet konkrete gesellschaftliche Ereignisse in ihrer Kunst und setzt sich mit dem Schicksal marginalisierter Gruppen auseinander.
Die Essenz des Traumas

Zur Person

Teresa

Margolles

Geboren 1963 in Culiacán in Mexiko

Ausstellungen u.a in der Tate Modern in London (2012) oder im Guggenheim Museum in New York (2005). 2009 Gestaltung des mexikanischen Pavillon Biennale Venedig.