Wo es Kunst beängstigend nah an der Aktualität gibt

Psychedelischer Realismus des Slowenen Uroš Weinberger in der Galerie Sechzig.
FELDKIRCH Vor einem fluoreszierenden Streifen Horizont, der abrupt in einen lachsrosafarbenen Himmel übergeht, stehen in Reih und Glied Kinder asiatischen Aussehens mit akkuraten Haarschnitten. Ihre Gesichter sind von Schutzmasken bedeckt. Das Motiv auf dem Gemälde des slowenischen Künstlers Uroš Weinberger könnte aktueller nicht sein, viele Kunstschaffende setzen sich derzeit mit der Coronapandemie auseinander. Das Bild in den Farben von grellen Polarlichtern und mit den abgerundeten Ecken, die an einen älteren Monitor erinnern, ist allerdings bereits 2014, lange vor Corona, entstanden.

Diese Arbeit mit dem Titel „See“ sei ursprünglich nicht in der Auswahl für seine Ausstellung „Projectories“ in der Galerie Sechzig, die eigentlich im März stattfinden hätte sollen, gewesen, erzählt Uroš Weinberger. Er sei jedoch überrascht und verblüfft gewesen, wie nah das Werk an der Realität sei. Und wie anders es jetzt wahrgenommen werde. Die Dinge und die Geschichte wiederholen sich, stellt Weinberger fest. Er sei keineswegs ein Visionär oder könne in die Zukunft schauen, sieht sich aber als ein wacher Beobachter globaler Vorgänge wie Massentourismus, Überwachungsmechanismen, digitaler Bilderflut oder Umwelt- und Naturkatastrophen. Die Pandemie lasse uns wohl nur kurz innehalten, denn dem Menschen, so Weinberger, wohne diese Eigenschaft des Vergessens inne, ist der Künstler überzeugt.
Giftgrün
Nicht so schnell vergisst man allerdings die Bilder des Künstlers – irres Giftgrün, ein Kolorit, das man irgendwie mit Radioaktivität assoziiert, ein Himmel voller Drohnen über einem von Hochhäusern gesäumten, stark bevölkerten Strand, ein Mädchen mit Gasmaske im Nichts oder die Moleküle, die als räumliche Modelle den Luftraum in den Gemälden unsicher machen. Weinbergers Malerei basiert auf digitalen Collagen, in denen verschiedene dokumentarische Fotografien und Videofilme am Computer miteinander verschmelzen, bevor sie auf die Leinwand übertragen werden. Aus der enormen Fülle an Bildern, die ihn entweder inhaltlich oder visuell ansprechen, bevorzugt aus den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren, aber auch aus seinen Traumbildern, filtert und selektiert der Künstler in immer neuen Schleifen immer weiter, bis am Ende diese eine, gültige Komposition entsteht.
Vibrierende Oberfläche
Düstere Endzeitszenarien, ein Strand wie ein Kriegsschauplatz, rufen Beklemmung beim Betrachter hervor. Was so surreal und auch ein wenig psychedelisch erscheine, sagt Weinberger, sei eigentlich Realismus. Denn auch die Farben simulieren digitale Screens und damit so etwas wie eine neue Realität. Und schließlich wird ein digitales Bild in klassische, analoge Ölmalerei übertragen. Die vibrierenden Oberflächen, wie aus Pixeln oder Bildpunkten zusammengesetzt, nehmen Anleihen bei der Op-Art, bei den Motiven geht es darum, im Erzähl-Sampling möglichst viele Geschichten mit nur wenigen Details anzureißen.

Wenn uns die Informationsflut desensibilisiert, wie Uroš Weinberger sagt, dann schafft es der Künstler mit seiner Malerei, uns wieder empfänglich zu machen für den Schrecken und die Albträume auf dieser Welt. Ariane Grabher
Geöffnet in der Galerie Sechzig, Ardetzenbergstraße 60, Feldkirch, bis 22. August, Do. und Fr. von 16 bis 19 Uhr, Sa. von 12 bis 16 Uhr.